REUTLINGEN. Wie sich von Rios Schatten lösen? Ist das möglich? Nein, ist es nicht, und das will im Grunde auch niemand: »Geboren, um frei zu sein«, ruft Jan Plewka gegen Ende der Revival-Show in die Menge, und tatsächlich fühlt man sich am Sonntag im mit 300 Rio-Fans gut besuchten franz.K von der ersten Minute an in die 70er-Jahre zurückversetzt.
Das fängt schon damit an, wie sich Jan Plewka inszeniert: publikumsnah, politisch und mit echtem Pathos präsentiert er die alten Ton-Steine-Scherben-Hymnen wie »Macht kaputt, was euch kaputt macht« und »Keine Macht für niemand«. Wie einst Rio Reiser steht er mit fiebrig flackernden Augen auf der Bühne und kräht seine trotzigen Appelle für Gerechtigkeit in den Saal. Herrlich, wie er sich auf die Galerie schwingt und von dort seinen Frust herausschreit, wie er mit rauchiger, geradezu grob belegter Stimme Rios melancholische Seite herausschält. Vor allem seine dunklen und wütenden Songs stehen an diesem Abend im Mittelpunkt, und die klingen auch für das Jahr 2024 glaubwürdig.
Rios zärtliche Seite
Rios Schatten, er ist in der Tat mächtig während dieser zwei Stunden Konzert. Natürlich werden Parolen wie »Geboren, um frei zu sein«, mit der die Scherben einst berühmt wurden, von Plewka etwas überhöht. Aber er zeigt auch die andere, zärtliche Seite von Rio Reiser, die damals zu Ton-Steine-Scherben-Zeiten nie richtig wahrgenommen wurde. Natürlich fliegen ihm da die Herzen der Reutlinger Fans nur so entgegen. Längst sind sie von ihren Stühlen aufgesprungen, singen lauthals mit oder stehen mit geschlossenen Augen da, sich hinein hörend in die kultigen Texte, die von Nostalgie und politischem Frust geprägt sind.
Von Beginn an nageln die vier Musiker von der Schwarz-Roten Heilsarmee ein Brett aufs andere. Songs wie »Blinder Passagier« oder »Wann, wenn nicht jetzt« treffen die Zuhörer in Mark und Bein. Und wenn das Ganze in zu viel Pathos abzudriften droht, schaut man einfach auf Jan Plewka, der einen geradezu vorbildlichen Frontmann abgibt. Im aufgeheizten franz.K geht die Rechnung voll auf. Mal explodieren die Gitarren, dann singen die Bandmitglieder in Silberanzügen im Chor und Plewka reißt sich im Überschwang das Hemd vom Leib. Die Musik rumpelt zwar hin und wieder ein wenig, aber Plewka und seine Mitmusiker wissen genau, wie sie ihr Publikum für sich einnehmen.
Nach zwei Stunden und der dritten Zugabe »Junimond« tappt man bewegt nach Hause. Glückstrunken. Verbrüdert. Eins mit Rio. (GEA)