REUTLINGEN. Auch eine Stradivari »Lady Harmsworth« von 1703 spielt nun nicht von alleine. Aber dass der Ungar Kristóf Baráti der denkbar würdigste Nutzer dieses kostbaren Leihinstruments ist, das war am Mittwoch beim Konzert in der Reutlinger Stadthalle zu hören. Dort mu sizierte er mit seinem Klavierbegleiter Gábor Farkas im Rahmen des Kammermusikzyklus.
Schon das Programm war geigerischer kaum vorstellbar: Beethoven, Brahms, Tschaikowsky, Eugène Isaÿe, Maurice Ravel. Aber Violinabenden haftet etwas Altmodisches und Überholtes an. Der Be such konnte zwar noch als gut gelten. Doch statt der überwiegend gesetzten Zuhörerschaft hätte man sich zahllose Jugendliche, ja Kinder gewünscht, die nach diesem Auftritt hingerissen schwärmen: So möchte ich auch mal geigen können!
Der 1979 in Budapest geborene und in Venezuela aufgewachsene Kristóf Baráti führt das große Erbe der russisch-jüdischen Geigenschule der Milstein oder Menuhin, der Szeryng oder Heifetz fort, die Virtuosität ganz in den Dienst einer leidenschaftlichen Intensität stellt. Diese manchmal übermütig leichte, hingebungsvoll verspielte Technik-Beherrschung hat nichts mit der ihr fälschlich nachgesagten schnurgeraden Makellosigkeit zu tun, die vibrierende und glühende Ausdruckskraft nichts mit sklavischer Werktreue, der Zauber nichts mit bloßer Perfektion oder atemraubender Akrobatik.
Auch die Quellen der großen musikalischen Tradition des kleinen Ungarn hört man an Kristóf Barátis Spiel heraus: wienerisch-habsburgische, jüdische, ziganeske und slawische, auch deutsche und europäische – schon in der Wahl der Stücke: die mittlere Beethoven-Sonate a-Moll, nicht weit von der sprichwörtlichen Kreutzer-Sonate weg, die zärtlich schwärmende späte Brahms-Sonate in A-Dur vom Thuner See; dann Tschaikowskys geigerische Elegie »Souvenir d’un lieu cher« für den jungen Geliebten, die einsätzige Solo-Sonate »Ballade« des belgischen Bachverehrers und Wundergeigers Eu gène Isaÿe und schließlich die »Tsigane«-Rhapsodie des kühl brennenden Feingeistes Maurice Ravel für die bewunderte ungarisch-stämmige Geigerin Jelly d’Arányi.
Der Piano-Partner Gábor Farkas trug Barátis wunderbar ausphrasiertes, bei allen Freiheiten aber doch stets sauber beherrschtes Spiel – keinerlei Nebengeräusche – ungemein einfühlsam und sorgfältig auf seinen stabilen Händen. Nie wetteiferte er im Ausdruck und ließ doch seine Gestaltungsfähigkeit gelegentlich in solistischen Passagen aufblitzen. Wenn Barátis Bogen mal nicht im Lot zur Saite strich, wenn der Geiger sein Vibrato mal weich schwingend aus dem Handgelenk, mal nervös aus dem Unterarm einsetzte oder auch bei leisen Schlusstönen ganz wegließ: Statt Lehrbuch-Technik und un anfechtbar abgemessener Interpretation entstanden da ganz große Musik, ganz großer Klang. Die vor allem in den oberen Lagen so kraftvoll tragende Stradivari, vielleicht überschätzt, tat ein Übriges zu diesem überwältigenden Fest der Geigenkunst.
Natürlich von besonderer Intensität, besonders geigerisch die Zugaben nach begeistertem Beifall: Der innige langsame Satz aus der dritten Sonate von Johannes Brahms und Isaÿes Bach gewidmete "Ob session". (GEA)