Logo
Aktuell Ausstellung

Tutanchamun in Stuttgart: Aus der Ego-Perspektive ins Totenreich der Ägypter

In der Schleyerhalle hat »Tutanchamun - das immersive Ausstellungserlebnis« eröffnet. Wie in Madrid, Kairo, Wien und Hamburg erleben Besucher hier mit modernster Bildtechnologie und Bombast das kurze Leben des Pharaos hautnah und reisen mit ihm ins ägyptische Totenreich. Doch die Schau hält noch ein Schmankerl bereit.

Eine Replik der weltberühmten Totenmaske des ägyptischen Pharaos Tutanchamun, ausgestellt in Stuttgart.
Eine Replik der weltberühmten Totenmaske des ägyptischen Pharaos Tutanchamun, ausgestellt in Stuttgart. Foto: Paul Runge
Eine Replik der weltberühmten Totenmaske des ägyptischen Pharaos Tutanchamun, ausgestellt in Stuttgart.
Foto: Paul Runge

STUTTGART. Nichts ist echt in der seit dem 6. Dezember laufenden Ausstellung »Tutanchamun« in Stuttgart. Die güldene Totenmaske des altägyptischen Herrschers der 18. Dynastie aus dem zweiten Jahrtausend vor Christus ist eine Replik, der Sarkophag und die vereinzelten Grabbeilagen, die in der Hanns-Martin-Schleyer-Halle ausgestellt sind, ebenfalls. Das macht aber nichts, denn darum geht es nicht. »Tutanchamun - ein immersives Ausstellungserlebnis« ist keine Ausstellung im klassischen Sinne - obwohl der archäologische Kontext, in den die Exponate eingebettet sind, durchaus wissenschaftlichen Standards genügt. Der wahre Kern der Ausstellung liegt in den simulierten Welten, die mit einer VR-Brille erfahrbar werden.

Weltsensation vor knapp 100 Jahren

Viel merkt der Besucher davon noch nicht, wenn er die Schleyerhalle betritt. Zuerst wird die wissenschaftliche Neugier mit altbewährten Mitteln gestillt: Eine historisch-archäologische Einordnung erfolgt zu Beginn der linear aufgebauten Ausstellung in Form meterhoher beschrifteter Tafeln. Diese sind nach thematischen Schwerpunkten - stets in gutem Verhältnis von Bild zu Text - geordnet, wie der Entdeckung des Grabes durch den Ägyptologen Howard Carter oder der Geografie des Tals der Könige. Dort entdeckte der britische Archäologe das nahezu unberaubte Grab am 4. November 1922 - eine Weltsensation, wie zeitgenössischen Zeitungsartikeln und Schlagzeilen zu entnehmen ist. Ein persönlicher Eintrag zum Fund ist in Carters Tagebuch zu lesen, das als Faksimile neben handgezeichneten Plänen der Grabkammer und der dort gefundenen Schätze ausliegt.

Wirkt fast schon echt: Die Animationen altägyptischer Kunst fließen nur so über die Wände.
Wirkt fast schon echt: Die Animationen altägyptischer Kunst fließen nur so über die Wände. Foto: Paul Runge
Wirkt fast schon echt: Die Animationen altägyptischer Kunst fließen nur so über die Wände.
Foto: Paul Runge

Das wohl wichtigste Ausstellungsstück bei jeder Tutanchamun-Ausstellung darf auch hier nicht fehlen: die goldene Totenmaske des Pharaos. Positioniert ist die Replik in einer Vitrine neben dem Nachbau des Sarkophags, über dem die lebensgroße, doch überraschend kleine Mumie schwebt und bereits einen unbewussten Vorgeschmack auf das liefert, was noch kommt.

Der immersive Part - also das Eintauchen in eine virtuelle Welt, die zunehmend als die Realität begriffen wird - beginnt schleichend. Mit großem Bombast und Farbenpracht wird in einer crescendoartigen Lichter- und Bildershow die Geburt der ägyptischen Götter erlebt, die fruchtbaren Täler des Nils durchflogen und reichhaltige Grabkammern bestaunt. Von allen vier Wänden prasseln die Eindrücke in den Raum, die altägyptische Malerei, Reliefkunst und Plastik erwachen zum Leben. Animierte Eidechsen und Skarabäen huschen erschreckend dreidimensional über den Boden und klettern behände an den kubischen Sitzgelegenheiten entlang, die in der Halle verteilt sind. Howard Carter selbst kommt zur Sprache, denn alte Tonbandaufzeichnungen sind in die Show mit eingearbeitet. Doch immer noch ist man im Diesseits verortet, steht nur bis zu den Knien im animierten Fahrwasser des Nils.

Mit mystischen Lichteffekten empfängt die »Tutanchamun«-Schau in Stuttgart den Besucher.
Mit mystischen Lichteffekten empfängt die »Tutanchamun«-Schau in Stuttgart den Besucher. Foto: Paul Runge
Mit mystischen Lichteffekten empfängt die »Tutanchamun«-Schau in Stuttgart den Besucher.
Foto: Paul Runge

Das ändert sich mit der bislang für alle Tutanchamun-Ausstellungen einzigartigen Attraktion des »Metaverse«. Hier schlüpfen die Besucher in die Rolle von Howard Carter und Tutanchamun gleichermaßen und bewegen sich - nachdem man vom fachkundigen Personal eine VR-Brille samt Kopfhörer aufgesetzt bekommt - durch die Grabkammer, das Tal der Könige und der archäologischen Ausgrabungsstätte von Howard Carter. Der physische Raum ist dabei unscheinbar schwarz, erst durch Brille und Kopfhörer wird die alternative Realität für eine Viertelstunde zur Wirklichkeit. Der rinnende Sand in den Ritzen der schweren Steinblöcke kitzelt in den Ohren, nur schummriges Fackellicht erhellt den Weg. Nicht-existente Mauern versperren den Pfad, so real für den Moment, dass man sie nicht durchschreiten mag. Langsam stößt man zur Grabkammer vor - begleitet vom Zischen der Schlangen und Skorpione, die in den uralten Gängen hausen.

Ausstellungsinfo

»Tutanchamun - Das immersive Ausstellungserlebnis« ist bis 25. Februar 2024 in der Hanns-Martin-Schleyer-Halle in Stuttgart zu sehen. Geöffnet ist täglich von 10 bis 21 Uhr. Einlass ist im 15-Minuten-Takt, die Aufenthaltsdauer ist unbegrenzt. Es wird empfohlen online Tickets für einen bestimmten Zeitslot zu buchen. (GEA)
www.tutanchamun-immersiv.de

Streicht man mit der Hand über die alten Folianten im Ausgrabungszelt, blättern die Seiten wie von Zauberhand. Vasen setzen sich zusammen und archäologische Werkzeuge nehmen die Arbeit auf. Zum Abschluss - die VR-Brille wurde abgesetzt und durch eine weitere im finalen Raum der Ausstellung ersetzt - schlüpft der Besucher in die Rolle des großen Pharaos selbst. Den irdischen Leib verlassend, streift die Seele durch die ägyptische Unterwelt, ehe sie beim Totengericht durch Osiris, den altägyptischen Gott des Jenseits, bewertet wird. Doch wiegt am Ende das Herz des göttlichen Herrschers oder die Feder der Maat schwerer? Die Antwort ist nicht wichtig für das Erlebnis, das die Ausstellung bietet. Sollte die Seele schließlich von der Verschlingerin einverleibt werden - es war ja zum Glück nicht real. Auch wenn es sich kurz so anfühlen könnte. (GEA)