TÜBINGEN. Schonungslos und mit verstörend sachlicher Sprache beschreibt der Roman, wie Entmenschlichung zu Kriegszeiten funktioniert. Die ungarisch-schweizerische Autorin baut mit kurzen, lakonischen Sätzen die Welt zweier vernachlässigter Kinder auf, die sich mit ihrer eigenen, methodisch vorangetriebenen Verrohung gegen die brutale Umwelt schützen. »Das große Heft« ist einer der bedeutendsten Romane des 20. Jahrhunderts. Ein unfassbar starkes, sehr eigenes Zeugnis gegen den Krieg, der aus Kindern unnahbare Monster macht; ein künstlerisches Mahnmal gegen Gewalt, die auf unserer Welt gerade jetzt irgendwo – überall – wieder neu ausgetragen wird. Das Landestheater Tübingen zeigt »Das große Heft« in einer Bühnenfassung. Premiere ist am Freitag, 9. Februar, um 19.30 Uhr im großen Saal des LTT.
Wenn man bedenkt, dass Ágota Kristóf 1935 in Ungarn geboren wurde und nach dem Volksaufstand 1956 in die Schweiz fliehen musste, kann man sich natürlich vorstellen, welche Zeit und welche Kriege im Roman porträtiert werden. »Aber die Autorin verzichtet ganz bewusst darauf, ihre Geschichte an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit spielen zu lassen. Das Besondere am Roman ist, dass er so zeitlos und universell ist«, betont Regisseurin Sophia Aurich, die diese Chronik einer Zwillingskindheit am LTT für die Bühne adaptiert. Aktuelle Konflikte wie der Ukraine-Krieg oder das Grauen in Israel spielen in ihrer Inszenierung also nur auf subtile Art und Weise eine Rolle. »Wir nehmen die Handlung als exemplarisch für jede Kriegssituation.«
Reste von Menschlichkeit
Bühnenbildnerin Martha Pinsker bestätigt: »Das alles könnte an jedem Ort und in jeder Zeit spielen – in der Vergangenheit und in der Zukunft. Uns war vor allem wichtig, dass die Inszenierung eine ganz eigene Ästhetik bekommt, die einem hilft, sich in das gesamte Szenario hineinzuversetzen, eine ganz eigene Welt erschafft, in die man abtauchen kann – mit großem Einsatz der unterschiedlichsten Bühnenmittel.« Das werde auch atmosphärisch und bildgewaltig. Trotzdem bleibt die Inszenierung nicht im Allgemeinen stecken. Ganz im Gegenteil: Die Kraft des Theaters liegt darin, Einzelschicksale erzählen zu können, Empathie mit ganz konkreten einzelnen Figuren wecken zu können, die uns nahekommen.
Wichtig ist es für Sophia Aurich und Martha Pinsker, dass die Kinder nie zu reinen Robotern ohne Herz werden. Gewisse Reste der Menschlichkeit bewahren sie sich. Sie helfen Menschen in Not und vielleicht auch gerade, weil sie andere Menschen, die Unrecht tun, äußerst brutal richten, zeigt sich, dass sie sich eine Vorstellung vom Guten behalten haben.
Es spielen: Andreas Guglielmetti, Jonas Hellenkemper, Insa Jebens, Lucas Riedle, Emma Schoepe und Sabine Weithöner. Musik: Friederike Bernhardt, Dramaturgie: Thomas Gipfel. Weitere Vorstellungen: 10., 16. und 29. Februar. (eg)
www.landestheater-tuebingen.de