TÜBINGEN. Mehr als drei Jahrzehnte ist es her, dass Thomas Kuhn, der sich für die Bühne als Verbeugung vor Hitparaden-Moderator Dieter Thomas Heck ein zusätzliches Dieter gegönnt hat, sich mit seinem ironisch-absurden aber sehr liebevollen Schlager-Revival einen Namen gemacht hat. Bald wird der Mann 60, doch die Passion, mit der Kuhn und Band zu Werke gehen, ist weiter legendär. Im Gespräch in Tübingen plaudert er über sein Verhältnis zu seiner Rolle und seine Beziehung zu Tübingens OB Boris Palmer.
GEA: Wie lange dauert die Verwandlung von Thomas Kuhn in Dieter Thomas Kuhn?
Dieter Thomas Kuhn: Das geht schnell. Wir haben da längst eine große Routine. Unser Gitarrist Philipp Feldtkeller ist zugleich auch unser Friseur. Der legt mir die Haare mit dem heißen Lockenstab. zum Glück ist das Haar mir weitgehend erhalten geblieben. Die Föhnwelle ist schließlich immer noch mein Kapital.
Sie sind von Haus aus eher ein Rocker. Was geht in Ihnen vor, wenn Sie in die Rolle des Dieter Thomas Kuhn schlüpfen?
Kuhn: Gar nicht mehr so viel. Ich mache das ja schon seit über dreißig Jahren. Anfangs habe ich es tatsächlich so gesehen, dass ich in eine andere Rolle schlüpfe, auf eine Art mache ich das auch. Aber auch zum Beispiel als Sänger einer Rockband spielst du eine Rolle. Für mich ist das alles so normal geworden, dass ich die Föhnwelle gar nicht mehr wahrnehme. Die Verkleidung und ich, wir sind mit den Jahren miteinander verwachsen.
Sie sind in Tübingen geboren, aufgewachsen und leben heute noch hier. Sind Sie mit Oberbürgermeister Boris Palmer befreundet?
Kuhn: Ich weiß gar nicht, ob der Boris Freunde hat (lacht). Aber ich würde schon von einer Art Freundschaft sprechen. Wir kannten uns schon vor seinem Amt, und wir können gut miteinander Tacheles reden, auch wenn er relativ beratungsresistent ist. Ich habe ihm nach der einen oder anderen seiner Äußerungen auch schon klare Kante gegeben. Unsere Begegnungen sind jedoch eher unpolitisch und freundlich.
Hatten Sie je vor, aus Tübingen wegzuziehen?
Kuhn: Warum sollte ich? Tübingen ist meine Heimatstadt, ich lebe unheimlich gerne hier. Die Stadt ist sehr liebenswert, und Italien ist nicht weit. Samstagsmorgens gehe ich gerne auf den Markt, trinke einen Kaffee oder einen Aperol Spritz. Ich bin ein Frühaufsteher. Das mit dem Langeschlafen funktioniert bei mir sowieso nicht mehr, weil ich mir oft so viele Gedanken mache.
Worüber?
Kuhn: Wenn du eine Tochter hast, die 18 ist und studieren will, dann hören die Sorgen so schnell nicht auf. Sie hat letztes Jahr Abitur gemacht und gerade den Führerschein bestanden, jetzt geht es darum, was sie studieren möchte. Ins Showgeschäft zieht es sie nicht, aktuell ist es ihr Wunsch, Medizin zu studieren.
Ihr erster Auftritt als DTK war 1992 im Kegelsaal des Weilheimer Kneiple in Tübingen. Wie sind Sie auf diese Figur gekommen?
Kuhn: Wir hatten erst eine Band, die Italo-Hits gesungen hat, irgendwie sind wir von dort zum deutschen Schlager geraten. Auch weil damals in den Siebzigern viele italienische Songs von Schlagerinterpreten eingedeutscht wurden. Wir fingen an, diese Lieder zu proben und konnten selbst kaum fassen, wie witzig und leidenschaftlich wir bei der Sache waren.
Wie konnte das Phänomen »Dieter Thomas Kuhn« solche Ausmaße annehmen?
Kuhn: Wir müssen irgendetwas an uns haben, das die Leute glücklich macht. Die Studierenden haben es von Anfang an voll abgefeiert, dass wir diesen alten Schlagerscheiß spielten. So ab 1994 ging auch die Sache mit dem Verkleiden los, unsere Shows wurden zum Selbstläufer. Ein bisschen war es so wie bei der »Rocky Horror Picture Show«, diesen Film feiern die Leute ja auch bis heute mit allem möglichen Brimborium.
Wie wichtig war die Ironie?
Kuhn: Extrem wichtig. Anders wäre es nicht gegangen. Wir mussten das ganze Konzept des Schlagers überhöhen, die schnellen Sachen noch schneller spielen, die Balladen noch langsamer. Unsere Mission war, mit Leidenschaft, Spaß aber auch einem gewissen musikalischen Know-how an die Sache ranzugehen. Die Musik als solche haben wir sehr ernst genommen.
Zur gleichen Zeit wurde auch der Kollege Guildo Horn mit einem ähnlichen Konzept erfolgreich.
Kuhn: Das war totaler Zufall, wir kannten uns damals noch gar nicht. Der Schlager war zu der Zeit, Mitte der Neunziger, total weg vom Fenster, total out. Guildo ist in meinem Alter, wir kannten den Schlager noch aus der Hitparade in den Siebzigern, und wir sahen das Potenzial. Ich ahnte, dass diese Musik für die jungen Leute reizvoll sein könnte, und dann gingen die ja wirklich voll ab auf unsere Neuinterpretationen. Auf einmal war der Schlager wieder hip.
Sind Sie mitverantwortlich für das, was aus dem Schlager geworden ist?
Kuhn: Für Helene Fischer und wie sie alle heißen kann ich nichts. Es kann jedoch sein, dass wir etwas damit zu tun haben, dass der Schlager wieder diese Salonfähigkeit erreicht hat und gerade bei jungen Leuten so gut ankommt. Ich weiß auch, dass Helene schon Dieter-Thomas-Kuhn-Medleys auf ihren Konzerten gespielt hat.
Zu Ihrem Programm zählen Klassiker wie »Mendocino«, »Ti Amo« – was hat der alte Schlager, was dem modernen Schlager fehlt?
Kuhn: Klasse. Das waren einfach die besseren Songs. Das waren variantenreiche, detailfreudige, oft richtig gute Kompositionen. Die Schlagermusik von heute läuft ja immer nach demselben Schema. Das wirkt alles so möchtegern-modern, kommt in Wirklichkeit aber altbacken daher. Ich will das nicht kaputtreden, aber wir sind eine Liveband, wir haben einfach keine Berührungspunkte mit diesem Plastikschlager von heute.
Fliegt immer noch Unterwäsche auf die Bühne?
Kuhn: Ja, das hat nicht nachgelassen. Dass wir eine gewisse Magie auf die Damen- wie auch auf die Herrenwelt ausüben, das kann ich nicht verhehlen. Wir sind immer noch Sexsymbole (grinst). Und die Mädchen, die wir auf die Bühne holen, dürfen mich immer noch küssen. Das hat bei uns nach wie vor etwas Spielerisches.
Ein bisschen steckt was von einem Späthippie in Ihnen, kann das sein?
Kuhn: Total. Ich wäre unheimlich gerne beim Woodstock Festival dabei gewesen. (GEA)
Dieter Thomas Kuhn: 29. Juni, 20 Uhr, Festplatz am Viadukt, Bietigheim-Bissingen