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Tönerne Spitzenwäsche

REUTLINGEN. Nein, das sind ganz bestimmt keine zierlichen Keramikfigürchen für den Setzkasten. Stephan Hasslinger sprengt mit seinen Arbeiten alle Dimensionen. Die Boden- und Wandobjekte des Freiburger Künstlers, die in der Städtischen Galerie unter dem Titel »Maschenware« zu sehen sind, sind riesig. Mehr als zwei Meter hohe Stelen ragen in den hohen Raum hinein. Die hellblaue »Cupola«, die einem Lampenschirm nachempfunden ist, ist satte 300 Kilo schwer.

»Die Dimensionen von Kunst auszuloten hat mich gereizt«, sagt Stephan Hasslinger. Das gilt in mehrerlei Hinsicht. Zum einen ist die schiere Größe der Skulpturen ungewöhnlich. Das Spezifikum seiner Arbeitsweise ist die Arbeit mit Modulen: Seine »Cupola« hat der Künstler aus 22 Einzelteilen zusammengesetzt, deren Größe allein durch das Fassungsvermögen des Brennofens begrenzt wird. Das architektonische Konstruktions-Prinzip, das Keramikplastiken in dieser Größe überhaupt erst ermöglicht, ist dem Künstler aus seiner früheren Arbeit mit Metallplastiken vertraut.

Ein Reißverschluss wird Kunst

Zum anderen bezieht sich Hasslinger in seiner Kunst bewusst auf die Räume, in denen er seine Werke präsentiert. Kunst für den öffentlichen Raum hat er bereits mehrfach geschaffen. Für eine Schulsporthalle in Furtwangen veredelte er Fundstücke aus amerikanischen Secondhand-Shops zu Kunstwerken für die Wand - Eishockeypanzer und Baseballhandschuhe zum Beispiel. Einige dieser Arbeiten, die in New York entstanden, sind auch in Reutlingen zu sehen. In einer Barockkirche in Merdingen stehen Altar und Ambo aus Hasslingers Atelier.

Auch in Reutlingen lässt sich der Freiburger auf den Raum ein. Die Städtische Galerie wird durch Säulen und Joche in zwei Schiffe unterteilt. Von keinem Standort aus ist der ganze Raum zu überblicken. Diese Eigenheit macht sich Hasslinger zunutze: Er platziert seine Objekte auf dem Boden und an den Wänden so, dass die Skulpturen Wege durch den Raum weisen. »Es ist ein Spiel von Verstecken und Freigeben«, erläutert der Künstler, der nach seiner Ausbildung zum Steinmetz Bildhauerei in Bremen und Berlin studierte.

Nicht nur im Großen, sondern auch im Kleinen sind seine Arbeiten, gemessen an den Werken anderer Keramikkünstler, unkonventionell. Die Oberflächen entfernen sich sowohl in ihrer Struktur als auch in ihrer farblichen Gestaltung weit von der Kunsthandwerk-Schublade, in die Keramikkunst gerne gesteckt wird. Hasslinger bevorzugt starke Farben und verwendet neben Glasuren auch Lacke, die zum Teil metallisch glänzen und das ursprüngliche, erdige Arbeitsmaterial verfremden.

Auch die Oberflächengestaltung weicht von dem ab, was man normalerweise mit Keramik assoziiert. Stephan Hasslinger formt aus Tonfäden feine, sich wiederholende Ornamente, die an barocke Verzierungen erinnern. Dabei sind ihre Vorlagen ausgesprochen profan: Ausgangspunkt des Künstlers sind Fragmente von Modeaufnahmen oder Stoffstücke. Hasslinger, der früher vor allem Stahlplastiken schuf, rechnete sich lange Zeit der »Schule des abstrakten Expressionismus« zu. »Das war ich irgendwann müde, ich war auf der Suche nach einer Inhaltlichkeit.« Die textilen Strukturen sind Ausschnitte aus einer ganz banalen Wirklichkeit: Wäschespitze, Netzstrümpfe, Reißverschlüsse, Häkeldeckchen oder grobe Strickmaschen. »Maschenware« eben - und alles andere als Kunst von der Stange. (GEA)