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Aktuell Literatur

Stuttgart und der Dichter des Absurden

Der letzte Band mit den Briefen Samuel Becketts beleuchtet auch seine Beziehung zur Schwabenmetropole

Der Nobelpreisträger Samuel Beckett auf einer undatierten Aufnahme. Nun kam der letzte Band mit seinen Briefen heraus. FOTO: DPA
Der Nobelpreisträger Samuel Beckett auf einer undatierten Aufnahme. Nun kam der letzte Band mit seinen Briefen heraus. FOTO: DPA
Der Nobelpreisträger Samuel Beckett auf einer undatierten Aufnahme. Nun kam der letzte Band mit seinen Briefen heraus. FOTO: DPA

STUTTGART. Fünf Jahre sind vergangen, seitdem der Suhrkamp Verlag einen ersten Band mit Briefen des Nobelpreisträgers Samuel Beckett veröffentlichte. Beckett, der zeitlebens die Öffentlichkeit mied, Interviews verweigerte, auch in seinen Texten eine immer größere, intensivere Kargheit entwickelte, zeigt sich in den Briefen, die er an Kollegen, Verleger, Schauspieler, Regisseure, Künstler schrieb, überraschend mitteilsam. Auskünfte über Becketts privates Leben gibt keiner dieser Briefe: Beckett selbst fand sie unerheblich, erteilte erst gegen Ende seines Lebens James Knowlson, einem langjährigen Freund, die Erlaubnis, seine Biografie zu schreiben.

»Was bleibt, wenn die Schreie enden?« – diesen Titel trägt der vierte Band, der nun die Briefausgabe abschließt. Der Titel entstammt Becketts letztem, kurzem Prosastück »Stirrings still« von 1988; der Band enthält Briefe aus den Jahren 1966 bis 1989. Kurze Texte, Bruchstücke für Theater und Radio, sind es, an denen Beckett in diesen Jahren schreibt. Sein Hauptwerk ist abschlossen, Stücke wie »Warten auf Godot«, »Endspiel«, »Glückliche Tage« und »Das letzte Band« werden auf den Bühnen der Welt gespielt. Ein Autor, der zuvor nur wenigen bekannt war, als schwierig galt, ist nun berühmt. 1969 wird Beckett den Nobelpreis für Literatur erhalten. »Ich möchte diesen Preis nicht«, schreibt er an seinen deutschen Verleger Siegfried Unseld, »aber ich möchte meine Lage nicht durch Verweigerung erschweren.«

1966 reist Beckett erstmals nach Stuttgart, um dort sein Fernsehspiel »Eh Joe« zu inszenieren. Vermittelt durch den Kunstkritiker Werner Spies realisierte der SDR zuvor schon mehrere seiner Hörspiele. Viel später erst wird Beckett Gefallen an der Arbeit in Stuttgart finden. Zwischen 1977 und 1986 inszeniert er dort nochmals »Eh Joe« und die Fernsehspiele »Geistertrio«, »... und nur noch Gewölk ...«, »Quadrat I+II«, »Nacht und Träume« und »Was wo«. Becketts Arbeit fürs Fernsehen in Stuttgart geht einher mit seinem Abschied vom Theater. Über Jahre hinweg hatte er seine eigenen Stücke inszeniert, oft in Berlin, besuchte ihre Aufführungen weltweit, bemüht, die künstlerische Kontrolle über sein Werk zu wahren. Auskünften zu ihrer Bedeutung verweigerte er sich konsequent.

Nachts die Nachtigallen

Kurz wie seine Prosa sind auch die Briefe, die Samuel Beckett in den letzten 23 Jahren seines Lebens schrieb – oft handelt es sich um wenige Sätze, die er auf Kunstpostkarten mit romantischen Motiven notiert. Sie richten sich an Freunde, Kollegen, junge Autoren, Schauspieler. Beckett schreibt an Theodor W. Adorno, an Emilie Cioran, an Jasper Johns, Morton Feldman, an den noch jungen Paul Auster, oft an Harold Pinter. So knapp seine Botschaften auch sind, geben sie zuletzt doch manches Preis, was der Autor des absurden Theaters, der Dichter des Schweigens, viele Jahre zurückhielt.

So erfährt der Leser, dass Beckett zu seiner frühen Romantrilogie durch Albert Camus’ »Der Mythos des Sisyphos« inspiriert wurde. Und: »Willie«, verrät er über sein Stück »Glückliche Tage« in einem Brief an die Schauspielerin Nancy Illig, »ist vogelartig. Ihr Reich ist die Luft. Wäre sie nicht auf diese Weise festgehalten, würde sie einfach ins Blaue entschweben. Sie ist ganz zerbrechlich, flattrig, zart.«

In Stuttgart logiert Samuel Beckett im Parkhotel, das längst einem Neubau des SWR gewichen ist; er trinkt sein Bier unerkannt in der Neckar-Klause, die heute ein chinesisches Restaurant ist. »Gehe abends zum Essen raus«, schreibt er 1977. »Verschiedene kleine Lokale in der Nähe, Essen nicht schlechter als im Hotel, ein Drittel des Preises, Stimmung angenehmer. 10 Minuten hinauf ins Studio in schöner Parklandschaft. Nachts die Nachtigallen. So sieht es aus.«

Im Parkhotel Stuttgart beginnt Beckett mit der Arbeit an seinem späten Kurzroman »Company«. Bei der Arbeit am Fernsehspiel »Geister-Trio« erwähnt er den Tübinger Übersetzer Klaus Birkenhauer (1934–2001). Mit Reinhart Müller-Freienfels, dem Leiter des Fernsehspiels am SDR, und dem Kameramann Jim Lewis bleibt er befreundet bis zuletzt. Beckett stirbt am 22. Dezember 1989 in Paris. Auf seine letzte Postkarte schreibt er: »Ich bin krank & kann nicht helfen. Leider. Also: machen Sie ohne mich weiter.« (GEA)

Samuel Beckett: Was bleibt, wenn die

Schreie enden?Briefe 1966–1989, Übersetzt von Claus Hirte, 1 008 Seiten, 68 Euro, Suhrkamp Verlag, Berlin.