REUTLINGEN. Ein Highlight haben viele wohl schon verpasst: Die Pianistin Shoko Hayashizaki, Mitglied der Gedok, wollte zur Eröffnung der Jahresausstellung der Gedok Reutlingen am Donnerstagabend einige der Haikus, auf die sich die Künstlerinnen beziehen, mit Tusche in mentaler Konzentration, dem Weg des Shodo, kalligrafisch umsetzen (wie im GEA angekündigt). Die Ausstellung aber kann im Spitalhofsaal noch bis zum 17. Oktober besucht werden.
24 Künstlerinnen haben sich beteiligt und jeweils von einem Haiku, einer Ausprägung jener traditionellen japanischen Gedichtform, die auch als die kürzeste der Welt bezeichnet wird, inspirieren lassen. Dabei haben sie mit so unterschiedlichen Techniken und Materialien wie Malerei, Grafik, Glaskunst, Filz, Schmuck und Papier, Fotografie, Installation und Mosaik zu ihrem Ausdruck gefunden. Die Haikus sind den jeweiligen Werken beigestellt.
Zu den neuen Mitgliedern der Gedok, die mit ausstellen, zählt Sylvia Grauer. Sie hat zu Zeilen von Masaoka Shiki (»Ach, wie ist mir bang! / Nach einem großen Feuerwerk / fällt ein Stern herab!«) ein Acrylgemälde geschaffen, das ein Aufgewühltsein, aber auch ein Leuchten zeigt. In jedem Fall Veränderung, wie sie wohl jeder und jede in der Pandemie verspürt hat.
K. N. Holder nimmt mit Öl auf Leinwand eine tiefblaue Muschel in den Blick und bezieht sich auf ein Haiku von Anke Holtz, in dem explizit das Wort »Coronaweihnacht « vorkommt; »im Päckchen der Eltern / eine Muschel«, heißt es da. Ein Symbol, eine Stellvertreterin für familiären Kontakt, nicht mehr und nicht weniger, ist diese Muschel, von der die eine Seite wie aus dem Bild gerutscht erscheint.
Ringen mit dem Dämon
Elke Mauz lässt es in zwei Keramikobjekten knospen. Jutta Peikert thematisiert den »Novemberwinter«. »Die Dunkelheit in mir nimmt zu«, ist der Ringenden mit einem Dämon, die ihre Keramik zu zeigen scheint, als Text beigegeben. Lissi Maier-Rapaport lädt mit Reliefs ein, die Glas gewordene Schwingungen repräsentieren, still in den Klang des Seins hineinzuhorchen. Kathrin Fastnacht hat aus Holz und Karton eine schwarze Box geschaffen, durch die durch kleine Spalte – auch, wo man es nicht erwartet – Hoffnung nährendes Licht fällt. Das Objekt ist bewusst am Fenster platziert, die »Lichtausbeute« von Tageszeit und Wetter abhängig.
Margarete List ergründet in einem dreiteiligen Wandobjekt, das parallele Linien zeigt (die meisten weiß, nur wenige farbig) den Schrei der Elster und die Beobachtung, dass sonst weiter nichts ist im Grün der Sommerbäume. Monika Schuh-Wibmer lässt verpixelte Nixen in flirrender Wüstenhitze vom Meer träumen. Das Haiku zu ihrem Acrylgemälde hat sie selbst verfasst.
Uta Albeck lässt eine senkrechte schwarze Linie auf Papier eine Fläche mit großer Farbleuchtkraft und horizontalen Verläufen kreuzen. Nach oben hin ist diese Fläche durch Dunkelheit blockiert. »Auf diesem Wege / wandert kein einziger Mensch / am Abend im Herbst«, heißt es dazu in den Worten von Matsuo Basho. Susanne Reusch hat bunte Flaschen ineinander gesteckt und von innen beleuchtet. Im so entstandenen Turm fluten in ihrer Lesart Lichter »graue Gedankenflächen«.
In einer poetischen Mixed-Media- und Acrylarbeit von Elke Pikkemaat blühen in einer Art Buchstabensuppe weiße Blumen. Gudrun Heller-Hoffmann gestaltet mit einer zweigeteilten Fotografie auf Alu-Dibond, die sich überlagernde Flächen zeigt, einen »Aufbruch« im doppelten Wortsinn.
Renate Quast setzt sich mit dem Herbst auseinander. Leinwandkeile, die bei ihr immer übrig bleiben, hat sie auf einem weißes Blatt zu einem »Bottich« zusammengefügt und mit schwarzer Acrlyfarbe bemalt. Doch erst, als sie die Keile auseinanderschob und die Form abstrakter wurde, war sie zufrieden, erzählt die Künstlerin, die die Ausstellung zusammen mit Jacqueline Wanner und Barbara Krämer organisiert hat. »Bodenlos und leer / rollt der Bottich her und hin / wenn der Herbstwind weht«, formulierte der japanische Dichter und Maler Yosa Buson im 18. Jahrhundert. Inge Rau hat unter anderem eine Serigrafie auf Glas beigesteuert, wobei unter dem Glas eine korrespondierende Schicht liegt. »Tote Bäume im grauen Nebel« machen hier traurig. In einem zweiten Werk feiert Inge Rau den erwachenden Frühling mit dem Grün des Schilfs. Eine Mischtechnik-auf-Papier-Arbeit von Laura Vogler deutet den Herbstwind als Kraft mit belebender Dynamik. Jacqueline Wanner hat im Sommer in ein altes Wasserbecken hineinfotografiert und dabei ein »Wolkenlächeln«, wie es im Haiku von Gabriele Juin heißt, eingefangen.
Wünsche blühen auf
Buket Aslantepe bringt – in einer Skulptur – eine Tänzerin im roten Kleid mit dem Duft von Apfelblüten in Verbindung, Barbara Kollross fein gearbeiteten Ohrschmuck aus mikrokristallinem Achat, Perlmutt, Diamanten, Feinsilber und Gold mit Mond und Schnee.
Einen Computerkarton hat Ingrid v. Normann zu einer Art Bauchladen umfunktioniert, in dem sich aufgekochte Fasern aus der Yucca-Palme, aus Schachtelhalm und anderen Pflanzen zu Papier zusammenfügen. »Das Wissen der Welt / Verdichtet in Maschinen / Erlesen im Buch«, hat sie selbst dazu gedichtet. »Im Buch der Natur«, könnte man ergänzen.
Und dann ist da noch eine Installation von Gerburg M. Stein, die den »ewigen Kampf um Aktion und Re-Aktion / von Mensch und Natur« zum Thema hat: In der Mitte Globen, unter anderem spritzengespickt, gesäumt von Coronamasken, die ein Spalier bilden.
Xenia Muscat lässt in einer Eitempera-Malerei in der Februarsonne Wünsche aufblühen, Margot Spuhler reflektiert in einer Keramik das Altern, Christine Ziegler lässt aus Handfilz und Papier eine blütenhaft sich öffnende Welt im Kleinen entstehen. Ulla Frengers Würde ausstrahlende Tonskulpturen in hellem Weiß kommen schließlich wie Totems daher. (GEA)