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Aktuell Pandemie

Sehnsucht nach echtem Publikumskontakt

Grünen-Politikerinnen Cindy Holmberg und Stefanie Seemann im Gespräch mit Kulturschaffenden der Region.

Hornistin Rachel Bauer beim Auftritt mit dem Metzinger Kammerorchester 2019 in Neuhausen. Rechts vorne Orchestervorsitzende Susa
Hornistin Rachel Bauer beim Auftritt mit dem Metzinger Kammerorchester 2019 in Neuhausen. Rechts vorne Orchestervorsitzende Susanne Kohler. FOTO: KNAUER
Hornistin Rachel Bauer beim Auftritt mit dem Metzinger Kammerorchester 2019 in Neuhausen. Rechts vorne Orchestervorsitzende Susanne Kohler. FOTO: KNAUER

REUTLINGEN. Die Theater schweigen, die Musik ist verstummt, die Kinoleinwände sind schwarz – und sollten die in Museen ausgestellten Exponate wirklich, wie von manchen Filmemachern vermutet, nachts ein Eigenleben führen, dürfen sie sich zurzeit auch bei Tageslicht austoben. Die Corona-Pandemie hat die Kulturszene in eine erzwungene Pause gestürzt.

Die beiden Grünen-Politikerinnen Cindy Holmberg und Stefanie Seemann haben sich bei einem digitalen Treffen unter Kulturschaffenden aus der Region umgehört, wie sie mit der Situation umgehen. Holmberg ist Landtagskandidatin im Wahlkreis 61 Münsingen-Hechingen, Stefanie Seemann sitzt als Landtagsabgeordnete im Ausschuss für Wissenschaft, Forschung und Kunst.

Seemann stellte einleitend fest, dass viele erst jetzt gemerkt haben, wie wichtig Kunst und Kultur für Zusammenhalt und gesellschaftliche Teilhabe sind. Kunst und Kultur seien weit mehr als Freizeitgestaltung, sie bildeten das Fundament einer offenen, vielfältigen und demokratischen Gesellschaft. Durch den Trend zur Individualisierung in der Gesellschaft werde es schwieriger, Menschen für ein Ehrenamt zu gewinnen. In diesem Bereich habe das Land reagiert und über 100 000 Euro zur Verfügung gestellt, um gemeinsam mit den Landkreisen Kultur-Regionalmanager(innen) zu etablieren. Diese sollen ehrenamtliche Vereine und Initiativen bei ihrer praktischen Arbeit entlasten und beispielsweise Fördermittel einwerben.

Alles in allem sei der Kulturetat in Baden-Württemberg in den letzten zehn Jahren um rund 40 Prozent gewachsen. Ziel für die Zukunft sei es, die soziale Lage von Künstlern zu verbessern, kulturelle Teilhabe zu stärken und mehr Raum für Kunst und Kultur zu schaffen. In der aktuellen Krise hätten die Coronahilfen für viele Kulturschaffende eine wichtige Rolle gespielt – so auch die Soforthilfe der Landesregierung und Zahlungen an Soloselbstständige mit dem Ziel, Sozialhilfebezug zu vermeiden.

In der Diskussion wurde deutlich, dass der Einfluss der Krise auf die Kultur so vielfältig ist wie die Kultur selbst. Gerald Ettwein vom Comedy-Duo Die Spätzünder etwa berichtete, dass er auf Medien wie Video auszuweichen versuche. Doch der direkte Kontakt mit dem Publikum fehle dabei – seine Art der Kunst lebe eben zum Teil auch von der unmittelbaren Interaktion mit dem Publikum.

Geld allein reicht nicht

Der kaufmännische Leiter des Theaters Lindenhof Christian Burmeister-van Dülmen stimmte Ettwein zu: Sein Theater veranstalte zwar Streaming-Events, deren Realisierung teilweise durch die Probleme der Digitalisierung im ländlichen Raum erschwert würden. Theater müsse aber live sein und es sei immer schwierig, ohne das direkte Feedback des Publikums zu spielen. Die meisten Theaterstücke ließen sich eher nicht mit Abstand aufführen, so die Einschätzung von Burmeister-van Dülmen. Das Theater Lindenhof profitiere zwar von Landes und Bundesförderprogrammen, aber Theater sei Treffpunkt. Die Probleme der Coronakrise ließen sich nicht durch Geld allein beheben.

Darin waren sich die Teilnehmer einig: Benedict von Bremen von der Initiative Hechinger Synagoge erklärte, dass sein Gedenk- und Lernort auch einige Digitalangebote mache. Aber als Ort des Dialoges zwischen Judentum, Christentum und Islam fehle auch hier der direkte Kontakt mit Menschen. So sah es auch Susanne Kohler, Vorsitzende des Kammerochesters Metzingen. Für ihr Orchester sei ein Publikum essenziell, selbst wenn es der Musik nur beispielsweise von Balkonen aus lauschen kann.

Christian Keller vom Adler Meidelstetten merkte an, dass Soforthilfen und finanzielle Unterstützung kaum zum Tragen komme, wenn ein Kulturbetrieb fast zu 100 Prozent ehrenamtlich arbeitet.

Dass Geld alleine nicht das entscheidende Thema ist, betonte auch Walter Dieterle als Betreiber der Kulturkneipe Hirsch in Glems. Für ihn seien Kulturveranstaltungen ohnehin meist Verlustgeschäfte, so gesehen spare er sogar Kosten durch den Lockdown. Aber darum gehe es gar nicht. Es seien die Künstler – und weniger die Veranstalter – die in der Krise leiden. Die Stimmen von Künstlerinnen und Kreativen gingen verloren.

Die Abstandsregeln an sich erschweren manch künstlerische Arbeit, wie Eva Schleker vom Naturtheater Hayingen erklärte: Ob das Freilichttheater in diesem Jahr ein Programm anbieten könne, sei fraglich angesichts der Beschränkungen, die die Proben für Amateurtheaterspiele vor ernste Probleme stellten.

Cindy Holmberg betonte die Bedeutung von Kultur als Weg zu lebendigen Innerorten und ihre Überzeugung, dass auch die kleinteilige Kultur Wertschätzung brauche, um das Leben in der Region lebenswert zu machen. Wie für sie war es auch für die übrigen Teilnehmer der Diskussion Konsens, dass die Kultur den Austausch braucht. Zu diesen gehörten auch der Burladinger Maler Wolfgang Bastian, Harald Hug vom Kulturforum Metzingen und Jörg Riedlinger von der Wimsener Kulturmühle. (eg)