BERLIN. In Matthias Glasners Drama »Sterben« spielen sie Mutter und Sohn, die nie eine liebevolle Bindung zueinander gefunden haben. Eine schauspielerische Herausforderung, der sich Corinna Harfouch (69) und Lars Eidinger (48) gern gestellt haben. In einer Szene zeichnet sich das ganze Dilemma ihrer Mutter-Sohn-Beziehung ab. Wahrheiten werden ausgesprochen, Verletzungen hingenommen, eine emotionale Tortur in einer Szene, die 25 Minuten dauert. Auf der Berlinale wurden Harfouch und Eidinger gefeiert. Wir trafen die beiden am Rande des Filmfestivals zu einem Gespräch.
GEA: Stimmt es, dass Regisseur Matthias Glasner mit »Sterben« seine eigene Geschichte verfilmte?
Lars Eidinger: Wahrscheinlich würden sich die meisten Filmschaffenden eher davor hüten, sich dazu zu bekennen, aber auf dem Plakat steht zum Beispiel »Hans-Uwe Bauer als mein Vater«. Mir imponiert das sehr. Im Film sind manche Situationen so absurd, dass man sich gar nicht vorstellen kann, dass sie auf wahren Begebenheiten beruhen. Zum Beispiel die Tatsache, dass Matthias’ Mutter ihn ihr Leben lang per Handschlag begrüßt hat.
Fühlten Sie sich dadurch nicht auch ein wenig unter Druck?
Eidinger: Schon bei historischen Persönlichkeiten fühlt man die Verantwortung, ihnen gerecht zu werden. Wenn diese Person allerdings auch noch anwesend und sogar wie in diesem Fall der Regisseur ist, ist diese Last ungleich größer. Ich dachte, wahrscheinlich werden wir die meiste Zeit damit verbringen, dass mir Matthias erzählt, wie er sich von mir richtig dargestellt sehen will. Das Gegenteil war der Fall.
Im Film gibt es diese Szene, in der Sie beide als Mutter und Sohn eine schmerzhafte Aussprache haben, die über 20 Minuten dauert. Wie wurde das entwickelt?
Corinna Harfouch: Wir haben das nicht entwickelt. Wir haben das einfach nur gespielt. Der Text stand vollkommen fest. Genauso haben wir ihn auch genommen, und das Wort für Wort. Es ist wohl eine Art Gedächtnisprotokoll eines Gesprächs, das Matthias Glasner mit seiner Mutter hatte. Das der Text, und wir haben das einfach ohne Probe gedreht.
Eidinger: Matthias hat angesichts der schwierigen Finanzierung immer gesagt, es geht ums Machen, und so war das auch beim Spielen. Diese Szene mit Corinna 24 Minuten lang zu spielen – das war auch eine schauspielerische Erfüllung in dem Moment. Unvorbereitet und ohne Probe in so eine Szene zu gehen, war wie an einem Abgrund zu stehen, sich an die Hand zu nehmen und gemeinsam ins Ungewisse zu springen.
Sie spielen einen Dirigenten. Welche Beziehung haben Sie zur klassischen Musik?
Eidinger: Meine Frau hat an der Musikhochschule Hanns Eisler klassischen Gesang studiert. Trotzdem hört sie zu Hause keine klassische Musik. Sie erträgt das nicht nebenbei. Ich selbst komme aus einer Familie, in der keine klassische Musik gehört wurde, nicht mal zu Weihnachten. Da liefen die Flippers. Mein Interesse an Klassik habe ich später entwickelt. Inzwischen liebe ich es beispielsweise, in die Berliner Philharmonie zu gehen.
Ist Ihnen das Dirigieren schwergefallen?
Eidinger: Der Dirigent Johannes Zurl hat es mir beigebracht. Da war ich – was eigentlich meiner Philosophie widerspricht – sehr akribisch und gut vorbereitet. Ich konnte diese drei Stücke im Film komplett durchdirigieren mit allen Taktwechseln und Feinheiten. In gewisser Weise war das aber vergebliche Liebesmüh, weil man natürlich nur kurze Ausschnitte dessen sieht. Aber es verleiht mir eine andere Glaubwürdigkeit.
Der Filmtitel »Sterben« könnte manche abschrecken. Ist er trotzdem richtige Titel für den Film?
Harfouch: Es ist fast schon eine Binsenweisheit, dass Leben und Sterben nun mal ein und dasselbe ist und unsere Kultur so seltsam prüde damit umgeht. In meinem Alter merkst du, dass um dich herum immer mehr Leute sterben. Oder du hast mit deinen alten Eltern zu tun, die immer schwächer werden und Hilfe brauchen. Du bist eigentlich permanent damit beschäftigt, und »Sterben« sollte ein anziehender Titel in unserer Gesellschaft werden. Er sollte nicht abschrecken, sondern unsere Neugierde wecken.
Eidinger: Als ich das Drehbuche bekam, stand auf dem Cover »Sterben – auch eine Komödie«. Bei unserem ersten Treffen sagte Matthias Glasner zu mir, er sucht Schauspieler*innen mit »Funny Bones« (lustigen Knochen). Diese Ambivalenz spürt man im Film. Ich wusste aber von Anfang an, dass irgendwann jemand aus der Produktion, Redaktion oder der Marketingabteilung sagen würde: »Kein Mensch schaut sich einen Film an, der ›Sterben‹ heißt«. Aber es ist ja ein Irrglaube, dass der Tod am Ende des Lebens auf uns wartet. Er begleitet uns in jedem Moment, und ich glaube, wir tun uns allen einen Gefallen, wenn wir unseren Frieden damit schließen.
Frau Harfouch, Sie haben sich um Ihre Mutter bis zu ihrem Tod gekümmert …
Harfouch: Ich wünsche jedem Menschen, dass er das darf und schafft, weil das einfach großartig ist. Es macht ganz viel mit dir, deinem weiteren Leben und deiner Versöhnung mit der Mutter.
Hat der Film »Sterben« Ihre Sicht aufs Leben verändert?
Harfouch: In »Sterben« sieht man Lebenserfahrungen, die ich oder die Matthias gesammelt haben. Das ist einfach etwas, was man erlebt hat oder an dem man vielleicht gereift ist, weshalb ich im Stande war, das zu spielen. Aber es ist jetzt nicht so, dass man so einen Film macht und daraus dieses oder jenes fürs Leben gelernt hat.
Wählt Ihre Figur in »Sterben« aber nicht auch die Einsamkeit?
Harfouch: In meiner Vorstellung von dieser Frau tut sie nur so, als bräuchte sie niemanden. Sie ist ungeschickt und traut sich nicht, ihren Sohn zu fragen, ob er mal kommen kann. Sie will nicht aufdringlich sein. So denken ja viele alte Leute. Ich hoffe, dass Matthias seine Mutter durch mein Spiel ein bisschen besser versteht. Das ist Teil meiner Motivation, das überhaupt zu spielen. (GEA)
»Sterben«: Ab 25. April in den Kinos