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Schostakowitschs Widerspenstigkeit: Daniel Müller-Schott im WPR-Sinfoniekonzert

Klangsinnlich, widerspenstig, irisierend zeigte sich die Württembergische Philharmonie im jüngsten Sinfoniekonzert. Cellist Daniel Müller-Schott begeisterte als Solist.

Daniel Müller-Schott spielte mit der Württembergischen Philharmonie Dmitri Schostakowitschs erstes Cellokonzert.
Daniel Müller-Schott spielte mit der Württembergischen Philharmonie Dmitri Schostakowitschs erstes Cellokonzert. Foto: Christoph B. Ströhle
Daniel Müller-Schott spielte mit der Württembergischen Philharmonie Dmitri Schostakowitschs erstes Cellokonzert.
Foto: Christoph B. Ströhle

REUTLINGEN. Im jüngsten Sinfoniekonzert der Württembergischen Philharmonie in der Reutlinger Stadthalle träumte ein Faun in der Mittagshitze, legte ein weltweit gerühmter Cellist mit Dmitri Schostakowitschs erstem Cellokonzert ein interpretatorisches Glanzstück hin und erzählte das Orchester ein Eifersuchtsdrama unter Puppen rund um den russischen Kasper Petruschka. Klangsinnlich geriet das, existenziell und trug im letzten Fall Züge einer überschwänglichen Groteske.

Die Württembergische Philharmonie zeigte sich unter der Leitung ihrer Chefdirigentin Ariane Matiakh in der Gestaltung hellwach und glänzte mit vielen Einzelleistungen. Angefangen mit Claude Debussys »Prélude à l’après-midi d’un faune«, bei dem - wie bei einem impressionistischen Gemälde - das Atmosphärische in den Vordergrund trat, irisierende Klangeindrücke sich mit dem transparenten Farbenreichtum des Orchesters verbanden. Im traumverlorenen Flötensolo, das das 1894 uraufgeführte Stück eröffnet, geben sich Halbtöne und Töne der Fünftonleiter die Hand. Pierre Boulez (1925-2016) erklärte das Stück in der Rückschau zum Ausgangspunkt der modernen Musik. Äußerst wirkungsvoll beschwor das Orchester den von Debussy so plastisch ausgemalten Traum des Fauns in der Mittagshitze, das rauschhafte Begehren des Naturgotts und sein müdes Versinken im Schlaf.

Empfindungsmäßige Tiefe

Daniel Müller-Schott sind schon verschiedentlich Cellokonzerte von Komponisten, darunter Sir André Previn und Peter Ruzicka, gewidmet worden. Nach Reutlingen hatte der gebürtige Münchner das 1959 - siebzehn Jahre vor seiner Geburt - uraufgeführte erste Cellokonzert von Dmitri Schostakowitsch mitgebracht. Ein Werk, dessen ersten Satz der Komponist als »heiteren Marsch« bezeichnete, der aber vor allem etwas Insistierendes, Manisches hat. Treibende Bewegungen und Chromatik prägen das Bild im ersten und dritten Satz. Wohingegen im zweiten Satz Melancholie sich ausbreitet - der Müller-Schott eine empfindungsmäßige Tiefe, mal melodisch, mal abgründig, gab. Eindringlich geriet nicht zuletzt das flüchtige Flageolett des Cellos.

Das dem Solisten zur Seite gestellte Horn wusste ebenso zu überzeugen wie etwa die Pauke als Widerpart der Cellostimme, die immer wieder Brüche im melodischen und rhythmischen Ablauf erzeugte. Im vierten Satz mit seiner Chromatik und den vielen Akzentverschiebungen ging auch eine gewisse Bedrohlichkeit von ihr aus.

Sarkastische Abschiedsgrüße

Im dritten Satz, einer 148 Takte langen Solokadenz, reflektierte und verdichtete Müller-Schott Teile des Vorangegangenen und gab einen kraftvollen Vorgeschmack auf die rhythmische Intensität des Finales - das mit einem musikalischen Zitat aus Stalins Lieblingslied »Suliko« sarkastische Abschiedsgrüße an den 1953 verstorbenen Diktator enthielt.

Müller-Schott und das Orchester spielten auf eine Weise, die weit über das Zusammenfügen von Klängen hinausging und Schostakowitschs Widerspenstigkeit und die existenzielle Dimension seiner Musik kompromisslos erlebbar machte. Der Applaus des Publikums fiel entsprechend begeistert aus. Dass Müller-Schott noch Pablo Casals »El cant dels ocells« (»Der Gesang der Vögel«) als Zugabe spielte, war großartig. Als Botschaft für den Frieden gedacht, zeigte sich das Cello darin anmutig, zart und verletzlich.

Verliebt und abgewiesen

»Burleske Szenen in vier Bildern« erwarteten die Zuhörerinnen und Zuhörer nach der Pause. Igor Strawinskys Ballett »Petruschka« beleuchtet in schillernden Farben ein Sankt Petersburger Jahrmarkttreiben, inklusive Schlager-Zitat und Spieldosenmelodie. Mit einem Flötensolo wurde die Figur eines Gauklers etabliert, der in seinem Spiel Puppen zum Leben erweckt: den Kasper Petruschka, die Ballerina, in die dieser sich verliebt und von der er abgewiesen wird, und den Mohren, dem wiederum die Ballerina zu gefallen sucht.

Mit großen Gesten - teilweise hoch über ihrem Kopf - und großer Körperspannung dirigierte Ariane Matiakh das Orchester, das die Figuren mit lyrischer Tanzmusik, aber auch starrer Marionettenhaftigkeit vorstellte. Statt einzelne Stimmen gegeneinanderzusetzen, tat Strawinsky dies in seiner collagierten Musik mit Stilrichtungen und Klangeindrücken - bis hin zur Groteske. So war bisweilen das Tänzerische mit dem Holprigen kombiniert, das Betörende mit dem Schrillen, großartig umgesetzt vom Orchester, das am Ende auch Petruschkas Tod in Klang fasste - und vom Publikum für seine packende Darbietung gefeiert wurde. (GEA)