NÜRTINGEN. Noch immer steht sie im Schatten ihres berühmten Mannes Willi Baumeister (1889–1955). Dabei ist Margarete Oehm (1898–1978) eine Künstlerin von eigenem Format mit sehr eigenständigem Werk. Die von Nikolai Forstbauer kuratierte Ausstellung »Kunst ist Poesie« in der Fritz-und-Hildegard-Ruoff-Stiftung richtet erstmals den Blick auf das Werk dieser Malerin und Zeichnerin.
Zugute kommt ihm die Zusammenarbeit mit der Willi-Baumeister-Stiftung in Stuttgart, die das 1916 bis 1926 entstandene Œuvre mit rund 280 Arbeiten ‒ vorwiegend auf Papier in einem Online-Überblick aufbereitete. Zudem gewann er den Kunsthistoriker Dr. Günter Baumann von der Galerie Schlichtenmaier (Grafenau und Stuttgart) als Laudator. Dieser erwähnte in der Schau »Künstlerpaare« im Mai und Juni 2020 auch das Ehepaar Willi Baumeister und Margarete Oehm. Kenntnisreich führte er bei der Vernissage in Nürtingen durch die rund 50 Exponate, ergänzt mit einer Fotowand zum Alltag der Familie Baumeister mit ihren beiden Kindern Krista und Felicitas.
Margarete Oehm wurde am 1898 in Stuttgart geboren. Sie erhielt privaten Mal- und Gesangsunterricht, unternahm früh Kreuzfahrtreisen in den Mittelmeerraum und in nordische Länder. Ab 1914 brachte sie sich in der Kriegsküche des Stuttgarter Roten Kreuzes ein. Noch während des Ersten Weltkriegs erhielt sie das Charlottenkreuz.
Die Verlobung 1919 mit dem Fabrikantensohn Adolf Palm wurde ein Jahr später wieder aufgelöst. Reisen 1920 und 1921 nach Rotterdam, Bremen, Worpswede, Hamburg, Blankenese, Hannover und Berlin weiteten ihren Horizont aus. Besuche im Künstlerdorf Worpswede ermutigten sie, ihre künstlerische Ausbildung fortzuführen, um dann nach Stuttgart zurückzukehren, wo sie 1923 bei Willi Baumeister Malunterricht nahm.
Obwohl in der Zeit zwischen 1918 bis 1923 keine Lehrer bekannt seien, habe Margarete gerade in dieser Phase eine eigene Figurenwelt entwickelt, heißt es in einer Biografie. Oft würden sich ihre Personen aus einzelnen Farbfeldern zusammensetzen, flächig angelegt, von markanten Konturlinien begrenzt.
Selbstbewusst und skeptisch
Baumann hebt bei der Vernissage speziell das anfangs der 1920er-Jahre entstandene Selbstbildnis von Margarete Oehm (Öl auf Leinwand) hervor: »Selbstbewusst und doch auch skeptisch schaut sie ihre Betrachter an oder womöglich an ihnen vorbei. Ganz aus der malerischen Fläche heraus gestaltet sie die Gesichtszüge. Mit faszinierender Sicherheit schafft sie hier einen fein nuancierten Farbklang, der uns klar macht, dass diese Szenerie in einem nur noch denkbaren Raum, einem eignen Bildkosmos stattfindet.«
Dazu kämen Landschaften von elegischer Dinglichkeit. Naturbeobachtung und Abstraktion hielten sich die Waage, »liebevoll poetisch fängt sie Stimmungen ein, die geheimnisvoll genug sind, um mehr zu sein als bloße Naturbilder.«
Im Juli 1926 hält sich Margarete Oehm mit Baumeister in Paris auf. Sie begegnet Werken von Piet Mondrian, Fernand Léger, Robert und Sonja Delaunay. Die eigenen Arbeiten können ihrer Meinung nach dagegen nicht standhalten. Nach der Heirat mit Willi Baumeister im November desselben Jahres beendet sie ihre künstlerische Tätigkeit.
Für Baumann hat die Ausstellung in den Räumen der Ruoff Stiftung große Faszination. So äußert er sich in dem SWR-Beitrag: »In ihrer Beharrlichkeit und Intimität wirken diese Arbeiten grandios.« Mit dem Tod ihres Mannes 1955 übernimmt Margaret Oehm dessen Nachlasspflege. Sie stirbt 1978 in Stuttgart. Tochter Felicitas tritt in ihre Fußstapfen. (GEA)
AUSSTELLUNGSINSFO
Die Ausstellung »Margarete Oehm ‒ Kunst ist Poesie« in der Stiftung Ruoff, Nürtingen, Schellingstraße 12, dauert bis 17. September. Geöffnet Samstag und Sonntag von 14 bis 18 Uhr, im August geschlossen. Katalog: 64 Seiten, zehn Euro. (GEA) www.ruoff-stiftung.de