ESSEX. Schön, dass diese beiden zusammengefunden haben: Rod Stewart (79), britisches Rock-’n’-Roll-Urgestein mit sechzig Jahre langer Weltkarriere, und Jools Holland (66), populärer Pianist, Bandleader und TV-Moderator (»Later with … Jools Holland«), haben mit »Swing Fever« ein erfrischend leichtfüßiges Big-Band-Album voller Klassiker wie »Ain’t Misbehavin’« oder »Oh Marie« eingespielt. Wir sprachen mit Rod Stewart per Video auf dessen Wohnzimmersofa. Er trägt zu diesem Anlass eine Trainingsjacke seines Lieblingsvereins Celtic Glasgow.
GEA: Sir Rod, bevor wir über Musik sprechen eine Frage zum Fußball. Ihre geliebten Schotten spielen in der EM-Vorrunde gegen Deutschland, die Schweiz und Ungarn. Wer kommt da weiter?
Rod Stewart: Es wäre ein Traum, wenn es Schottland zum ersten Mal überhaupt schaffen würde, bei einer Europameisterschaft ins Achtelfinale zu kommen. Ich glaube an die Schotten. Und sorry, liebe Ungarn und liebe Schweizer, an die Deutschen.
Sie sind parallel zur EM auf Ihrer eigenen Europatournee. Welche Spiele werden Sie anschauen?
Stewart: Das Eröffnungsspiel gegen Deutschland fällt leider auf den Abend, an dem ich in Leipzig spiele. Die übrigen Matches werde ich mir im Stadion angucken. Gegen die Schweiz spielen wir in Köln.
Ihre Tournee trägt den Titel »One Last Time«. Wollen Sie etwa aufhören mit dem Livespielen?
Stewart: Nein, so weit will ich mich nicht aus Fenster lehnen. Ich möchte ja auch nächstes Jahr unbedingt noch mit Jools auf »Swing Fever«-Tour gehen. Bloß diese gigantischen Konzertreisen, die gebe ich mir noch dieses Jahr, und dann ist es gut. Das Reisen wird mit zunehmendem Alter immer beschwerlicher. Ich bin im März in Fernost und in Japan, im Frühsommer in Europa, im Spätsommer in Nordamerika. Wenn ich wieder heimkomme, sind meine Kinder noch erwachsener als jetzt schon. Ich möchte mehr Zeit mit ihnen verbringen.
Aber ganz aufs Livespielen verzichten, ist auch keine Lösung, oder?
Stewart: Nein. Ich halte mich fit, bin gesund, habe immer noch Bock. Live auf der Bühne zu stehen, lässt mir immer noch einen Freudenschauer über den Rücken laufen.
Und nächsten Januar werden Sie dann 80.
Stewart: Nicht zu glauben, oder (lacht)? Ich mag es, älter zu werden. Nicht unbedingt körperlich, aber so allgemein. Man wird ein bisschen ruhiger und weiß die kleinen, schönen Dinge wie ein gutes Abendessen mit der Liebsten noch mehr zu genießen. In meinem Alter noch Musik zu machen und ein Publikum dafür zu interessieren, empfinde ich als riesiges Privileg.
Mit Ihrer Frau Penny Lancaster sind Sie mittlerweile seit 25 Jahren zusammen, Ihre zwei gemeinsamen Söhne Alastair und Aiden sind 18 und 13.
Stewart: Mein Leben ist wirklich toll. Penny ist mein Anker und meine große Liebe. Groß im wörtlichen Sinne (lacht). Meine Frau ist riesig. Und die Jungs machen sich prächtig. Beide stehen total auf Fußball.
Sowohl »Sentimental Journey« als auch »Night Train« handeln von Zugfahrten. Nun haben Sie wie Jools Holland jeweils eine sehr große Modelleisenbahn. Spielte das gemeinsame Hobby eine Rolle im Studio?
Stewart: So eine gewisse Verbundenheit ist schon da, keine Frage. Aber wir hätten das Album auch zusammen gemacht, wenn wir nicht beide auf Eisenbahnen stehen würden. Lange Zeit war mir mein Hobby ein bisschen unangenehm, es hat so gar nichts mit Rock ’n’ Roll zu tun. Das ist mir heute längst wurscht. Wenn ich mich mit meiner Modelleisenbahn beschäftige, kann ich wunderbar abschalten und zur Ruhe kommen.
Wer hat denn die größere von Ihnen?
Stewart: Das bin wohl ich. Meine Anlage bildet die amerikanische Ostküste ab, die von Jools ist aber ebenfalls fantastisch. Er fährt durch Flandern und Teile von Westdeutschland.
Sie haben sich für »Swing Fever« dreizehn Klassiker vorgeknöpft, die überwiegend in den 1930er- und 40er-Jahren USA entstanden sind. Was haben uns »Lullaby Of Broadway« oder »Walking My Baby Back Home« heute noch zu sagen?
Stewart: Eine ganze Menge, denn diese Songs sind absolut zeitlos! Sie waren schon vor uns da und werden auch nach uns noch da sein. Ich wollte schon lange ein Swing-Album machen, denn ohne Swing gäbe es keinen Rock ’n’ Roll und ohne Rock ’n’ Roll hätte es keinen Rod Stewart gegeben, zumindest nicht als Sänger. Es zog sich nur eine Weile, bis ich den richtigen Partner fand. Ich wollte jemanden, mit dem ich musikalisch so richtig Gas geben kann. Ich wollte kein Swing-Album im Stil von Frank Sinatra machen. Sondern eins mit Volldampf.
Wie kam die Zusammenarbeit ins Rollen?
Stewart: Vorletztes Jahr, kurz vor Weihnachten, rief ich Jools an. Wir kannten uns noch gar nicht so gut, tauschten ein paar Freundlichkeiten aus, dann kam ich zum Punkt: »Jools, ich möchte ein Album mit dir und deiner Band machen.« Er hat nicht lange überlegen müssen. Als ich zu Jools ins Studio kam, wusste ich sofort, dass ich beim Richtigen gelandet bin. Ich kannte seine Arbeit natürlich gut, ich wusste, wie fantastisch er mit seiner Band harmoniert. Trotzdem war ich von diesem Boogie-Woogie-Sound wie elektrisiert.
Wie haben Sie auf Jools’ Musik reagiert?
Stewart: Ich fing an zu tanzen (lacht). Im Ernst, ich ging voll ab. Schon bei den ersten Probeaufnahmen wusste ich, das wird unvergleichbar mit allem, was ich bisher gemacht habe.
»Swing Fever« ist ein fast ungestümes Album, es kommt ganz ohne Balladen aus. Wollten Sie keine langsamen Songs?
Stewart: Das ist eine bewusste Entscheidung. Wir wollten keine langsamen Lieder. Ich habe auf meinen fünf Alben mit Liedern des Great American Songbook bereits alte Balladen in üppiger Zahl aufgenommen. Wir beide hatten richtig Bock auf Tempo. Die Lust darauf, etwas zu erschaffen, das beim Hören so richtig Freude macht, war unser gemeinsamer Antrieb.
Also Boogie-Woogie-Vollgas statt Kitsch?
Stewart: Wir wollten Spaß haben, ganz einfach. Jools schlug mir die eine oder andere Ballade vor, doch ich wollte den Gang partout nicht runterschalten. Manchmal reden die Leute über Zwietracht beim Musikmachen. Bei uns herrschte das Gegenteil. Die pure Freude. Alles lief sehr intuitiv und spontan ab. Ich finde, wir haben ein Album voller Gefühl und Menschlichkeit gemacht.
Die Lieder auf »Swing Fever« entstanden während der großen Wirtschaftskrise, einige kurz vor oder während des Zweiten Weltkriegs. Bringen schwere Zeiten freudvolle Songs hervor?
Stewart: Ich denke, das ist der Fall. Die Wirklichkeit ist gerade eine einzige Horrorshow, mit Kriegen überall. Wir können da nicht viel ausrichten, aber was in unserer Macht steht, ist, Musik zu spielen, bei der die Menschen ein bisschen Zuversicht finden. (GEA)
Album: »Swing Fever« (Warner Music)
Live: 15. Mai, 20 Uhr, Schleyerhalle, Stuttgart