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Reutlinger Kammermusikzyklus feiert mit Quatuor Modigliani 50 Jahre

Mit dem Modigliani-Streichquartett aus Paris ist der Reutlinger Kammermusikzyklus in seine Jubiläumssaison gestartet: 50 Jahre gibt es die Reihe. Grund zum Jubeln hat sie allemal.

Hinterließ einen starken Eindruck: Das Quatuor Modigliani eröffnete die Jubiläumssaison des Kammermusikzyklus.
Hinterließ einen starken Eindruck: Das Quatuor Modigliani eröffnete die Jubiläumssaison des Kammermusikzyklus. Foto: Armin Knauer
Hinterließ einen starken Eindruck: Das Quatuor Modigliani eröffnete die Jubiläumssaison des Kammermusikzyklus.
Foto: Armin Knauer

REUTLINGEN. Das halbe Jahrhundert ist voll. Seit 50 Jahren gibt es den Reutlinger Kammermusikzyklus - angesichts der Kassenlage der Stadt ist es ein Statement, dass er noch immer existiert. »Reutlingen ist Musikstadt«, versichert Verwaltungsbürgermeister Robert Hahn, auch für Kultur zuständig, fast trotzig zum Auftakt der neuen Saison am Mittwochabend im gut gefüllten Kleinen Saal der Stadthalle.

Hahns verbreitet in seiner Würdigung zu 50 Jahren Kammermusikzyklus denn auch eher vorsichtigen Optimismus denn Jubelhymnen. 1974 hatte der Franzose Jean-Paul Riehl die Reihe ins Leben gerufen, damals als Privatinitiative, ehe sie 1980 die Stadt unter ihr Dach nahm. Bis 2013 lebte die Reihe von der Leidenschaft ihres Gründers. Riehl, inzwischen verstorben, lebte, brannte, glühte für die Kammermusik. Keiner konnte so völlig in der Welt der Beethoven-Quartette und Debussy-Duette aufgehen wie der feinsinnige Franzose. Dass man mit Friedemann Rieger einen Nachfolger fand, der als Klavierprofessor und rühriger Kammermusiker ebenso gut vernetzt ist - und dazu noch Reutlinger: ein Glücksfall.

Puccinis Melancholie

Wie feiert man also das Glück, dass es einen noch gibt, angesichts der bescheidenen Kassenlage? Schmetternde Fanfaren wären nicht das Richtige gewesen. Das Quatuor Modigliani aus Paris hatte mit den »Fünf Sätzen für Streichquartett« von Anton Webern sogar ein ausgesprochenes Anti-Fest-Programm im Sinn. Doch die fünf hochexperimentellen Sätze flogen kurzfristig raus. Stattdessen erklangen zu Beginn die »Crisantemi« von Giacomo Puccini, eigentlich mehr für Opernschmelz bekannt.

Nun ging das Puccini-Stück geschmeidiger ins Ohr als Weberns Experimente - doch war das auf seine Weise ebenfalls ein Anti-Fest-Programm. Zart dahinwehende Melancholie, die Stimmung gedämpft, man möchte sagen passend zur Kassenlage. Kein Eisbrecher - aber Gelegenheit für die vier virtuosen Herren aus Paris zu zeigen, wie fein sie einen solchen Trauerflor zu weben vermögen.

Brahms' Festlaune

Das Hurra zum 50. lieferten sie mit dem dritten Streichquartett B-Dur von Johannes Brahms nach: Amaury Coeytaux und Loïc Rio an erster und zweiter Geige, Laurent Marfaing an der Bratsche und François Kieffer am Cello. Welcher Teufel den Dauermelancholiker Brahms bei diesem Quartett wohl geritten hat? Lässt er es hier doch zischen wie eine frisch entkorkte Champagnerflasche. Famos, wie die vier das umsetzen: geschlossen, wohl ausbalanciert, aus einem Guss. Da sind die Mittelstimmen von zweiter Geige und Bratsche ebenso präsent wie die Randstimmen von erster Geige und Cello. Die zarten Stellen schimmern durchsichtig - wo Attacke gefragt ist, geben sie richtig Pfeffer.

Im dritten Satz lässt Brahms dann doch seine geliebte dunkle Stimmung raus - und Laurent Marfaing malt auf seiner Bratsche eine Nachtskizze von so betörend raunender Intensität, dass es Gänsehaut macht. Ehe das Finale wieder ganz spritzige Festlaune verbreitet.

Beethovens Attacken

Das letzte Wort indessen hat ein herausfordernder Beethoven: Sein Opus 59,2, das zweite der drei »Rasumowsky«-Quartette ist ein faszinierend zerklüfteter Brocken. Wie die vier Franzosen daraus ein gewitztes Spiel immer neuer Anläufe, Attacken, Stimmungswechsel und rhythmischer Finessen machen, ist große Kunst. Das Schubert-Menuett als Zugabe ist Schlichtheit, hinter der Abgründe lauern. Allein für solche Sternstunden ist zu hoffen, dass der Zyklus der Stadt noch lange erhalten bleibt. (GEA)