REUTLINGEN. Das Stuttgarter Cemre-Yilmaz-Quintett gab am Samstag beim Auftakt des Reutlinger Jazzfrühlings im Jazzclub in der Mitte eine eindrucksvolle Visitenkarte ab: eine zweistündige Mixtur vor vollem Haus, konzentriert, wach und voller Spielfreude. Auch Freunde ruhiger Balladen kamen auf ihre Kosten.
Es kann leicht ins Auge gehen, wenn man sich als Jazzmusiker durch das unübersichtliche Wirrwarr unterschiedlicher Musikgenres und Sprachen zu kämpfen versucht. Die in Ankara geborene und aufgewachsene Sängerin Cemre Yilmaz und ihr Quintett behaupten sich jedoch im ausufernden Latin-Swing ebenso wie in ruhigen Balladen, bewegen sich im »Great American Songbook« ebenso leichthändig wie in türkisch oder brasilianisch angehauchten Kompositionen.
Von zart bis energiegeladen
So sanft Yilmaz, Kontrabassist Joel Locher und die drei ehemaligen Landesjazzpreisträger Gee Hye Lee (Piano), Alexander »Sandy« Kuhn (Tenorsaxofon) und Michael Kersting (Drums) in den Balladen agieren, so kraftvoll und energiegeladen können sie bei agilen Jazzstandards wie »I didn’t know what time it was« oder »Masquerade« Gas geben.
Neben der kräftigen und klaren Stimme der in Stuttgart lebenden Vokalistin fällt besonders ihre Vorliebe für balladeske Swingtitel auf. Je nach Song singt Cemre Yilmaz mal zart schmeichelnd, dann wieder kantig und zupackend. Dazu liefern Tenorsaxofonist Sandy Kuhn und die zierliche Koreanerin Gee Hye Lee am Flügel nicht nur solide Begleitarbeit ab, sondern überzeugen mit virtuosen wie musikalischen Improvisationen. In Zusammenarbeit mit dem Kontrabassisten Joel Locher webt Michael Kersting darüber hinaus einen ebenmäßigen Rhythmus-Teppich, auf dem die Solisten immer wieder zu Hochform auflaufen können.
Jazzklassiker ganz frisch
Programmatisch hält sich das Quintett im klassischen Jazz-Repertoire auf. Doch was manchmal ausgetreten wirken kann, wie Nancy Wilsons »Never Will I Marry« oder »I didn’t know what time it was« von Ella Fitzgerald, kommt bei diesem Quintett ganz frisch rüber. Sowohl die Meisterschaft ihrer Kollegen wie auch die Qualität ihrer Stimme mit ihren vielfältigen gesanglichen Möglichkeiten garantieren jenen Schwung, der bei oft gehörten Standards manchmal verloren geht. Wer bereit ist, hinter bekannten Melodien die individuellen Feinheiten wahrzunehmen, war bei diesem gut zweistündigen Konzert jedenfalls goldrichtig aufgehoben.
Nicht nur die musikalische Chemie dieser Gruppe im Kraftfeld zwischen Komposition und Eruption funktionierte ausgezeichnet, auch die Chemie zwischen Musiker und Besucher stimmte. Dementsprechend gut war die Stimmung unter den rund 80 Besuchern im ausverkauften kleinen Jazzkeller. Am Ende durfte das Publikum noch ein brasilianisches Stück gesanglich begleiten, ehe das Konzert mit einer emotionalen Ballade auf Türkisch endete. (GEA)