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Psychische Krise als Tanzstück: »Artificial Normal« am Sudhaus Tübingen

Das Gefühl, in eine psychische Krise zu rutschen, in eine Depression, wird am Sudhaus Tübingen in der Choreografie von Katja Büchtemann zum Tanzstück »Artificial Normal«. Fragt sich: Finden die Tänzer Jakob Jautz und Eftychia Stefanou auch wieder aus der Krise heraus?

Eftychia Stefanou und Jakob Jautz performen in den Wogen von Frank Fierkes Ballonobjekt.
Eftychia Stefanou und Jakob Jautz performen in den Wogen von Frank Fierkes Ballonobjekt. Foto: Armin Knauer
Eftychia Stefanou und Jakob Jautz performen in den Wogen von Frank Fierkes Ballonobjekt.
Foto: Armin Knauer

TÜBINGEN. Dunkel ist es erst auf der Sudhausbühne am Samstagabend bei der Premiere von Katja Büchtemanns neuem Tanzstück »Artificial Normal«. Es geht darum, wie man in eine psychische Krise rutscht, in eine Depression. Ein dunkles Rumoren schleicht sich ein von Achim Bornhöfts elektronischer Komposition »Terrain«. Ein fahles Klirren glimmt auf von der Seite, wo Alexander Bauer an der elektronischen Orgel sitzt.

Zwei Akteure stehen inmitten dieser dunklen Klangwolke: Eftychia Stefanou und Jakob Jautz. Zwischen sie hat sich ein riesiges Ballonobjekt aus halbtransparenter Folie des Starzacher Künstlers Frank Fierke gedrängt. Im Zwielicht, das Lichtregisseur Holger Herzog kreiert, wirkt es wie eine riesige Nebelwolke.

Tänzerin Eftychia Stefanou kriecht unter Frank Fierkes Ballonobjekt hervor.
Tänzerin Eftychia Stefanou kriecht unter Frank Fierkes Ballonobjekt hervor. Foto: Armin Knauer
Tänzerin Eftychia Stefanou kriecht unter Frank Fierkes Ballonobjekt hervor.
Foto: Armin Knauer

Die Folienhülle ist Objekt gewordene Depression, ist auch Barriere, die die Betroffenen von der Außenwelt abschneidet. Sie verstecken sich unter den luftgefüllten Bahnen. Sie kriechen hinein in die ambivalente Folienwolke. Sind vom Rest der Welt getrennt, zurückgezogen in eine Blase der Traurigkeit, isoliert in einem Käfig, hinter dem alles nur noch schemenhaft zu existieren scheint.

Vieles von dem Gefühl, wenn man innerlich in einem tiefen Loch steckt, ist prägnant auf den Punkt gebracht. Die Welt, die einem fremd wird, die sich hier in einem immer lauter werdenden Elektronik-Wabern auflöst. Worte und Sätze, die nicht mehr ankommen, sondern als versprengte Fragmente in den Raum wehen: »Destroy.« »Disappear.« »How can it make sense?« - Zerstören. Verschwinden. Wie kann es Sinn ergeben?

Sirtaki gegen die Krise

Es ist aber auch ein Stück darüber, wie man aus so einer Krise wieder auftaucht. Sich herausarbeitet aus der Folienblase. Ein Stück weit verletzlicher sind sie geworden. Ein Stück weit nackter im buchstäblichen Sinn. Die anfangs bunten Kleider sind hautfarbenen Shirts gewichen, die wie mit schwarzer Tinte getränkt wirken. Und doch finden sie zu lebhafterer Aktion, nun, da sie aus ihrem Kokon geschlüpft sind. Werden euphorisch gar, finden in wirbelnden Bewegungen zum synchronen Miteinander.

Eine ausgelassene Sirtaki-Figur scheint den Sieg über den inneren Abgrund zu verkünden. Doch die Depression ist nicht weg, nur für den Moment zurückgedrängt. Schon füllt sich das Ballonobjekt erneut, bläht sich auf. Die Isolation kehrt zurück. Und wird aufs Neue bekämpft. Nun tanzen sie auf dem Objekt, dessen Folienbahnen sich wie ein Wellengang um sie herum blähen.

Projektionen von Katastrophen

Am Ende steigt das Ballonobjekt an Schnüren in die Höhe. Gibt den Platz frei für die Tanzenden. Das Leben ist zurück. Aber das Durchlebte hat Spuren hinterlassen. Ganz wörtlich hat es sich auf dem Körper von Jakob Jautz eingeschrieben. Die Krise schwebt wie eine Wolke über ihnen. Kann sich jederzeit wieder senken.

Video-Projektionen auf und durch die Folienwolke hindurch machen deutlich, dass es auch um die Krisen draußen in der Welt geht. Dass beides zusammenhängt: Lawinen donnern zu Tal, Hochhäuser stürzen zusammen. Doch zwischen all der Bedrohung haben sich die Tänzer vorerst ihren Raum erobert. Das Leben ist wieder da. Eine eindrückliche Performance, an deren Konzeption auch die Tänzerin Laura Börtlein beteiligt war. (GEA)