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Preisverleihung in Tübingen: Poesie gegen das Elend

Alles Wichtige zur Prix-Premiere-Verleihung in Tübingen.

Übersetzer Paul Sourzac mit Institutsleiterin Ariane Batou-To Van.  FOTO: KNAUER
Der Übersetzer Paul Sourzac mit Institutsleiterin Ariane Batou-To Van. Foto: Armin Knauer
Der Übersetzer Paul Sourzac mit Institutsleiterin Ariane Batou-To Van.
Foto: Armin Knauer

TÜBINGEN. So kann’s gehen. Da soll ein Schriftsteller in Tübingen einen Literaturpreis entgegennehmen, was aber daran scheitert, dass er bereits auf dem Weg nach Paris ist, wo schon die nächste Auszeichnung auf ihn wartet. Der Belgier Antoine Wauters ist einer der frankofonen Literaten der Stunde, das Deutsch-Französische Kulturinstitut in Tübingen hat ihn mit dem »Prix Premiere« bedacht – genauer: die Leser, denn sie bestimmen den Gewinner unter drei Kandidaten der Shortlist.

Eine Verleihung gab es trotzdem im Institut in der Villa in der Doblerstraße, denn ausgezeichnet wird auch der Übersetzer. Geht es doch um junge französischsprachige Autoren, die zum ersten Mal ins Deutsche übersetzt werden. Wauters’ Roman »Denk an die Steine unter deinen Füßen« hat der in Berlin lebende Paul Sourzac übertragen, und der war da. Er las am Freitagabend einen Abschnitt auf Französisch, reflektierte im Gespräch mit Institutsleiterin Ariane Batou-To Van über die Schwierigkeiten des Übersetzens und hielt am Ende stolz seine Urkunde in die Kameras.

Wauters hatte eine Botschaft geschickt, in der er das seltsame Los des Schriftstellers beklagt: Monatelang sitze man einsam am Schreibtisch, aber kaum sei das Buch heraus, werde man zum Marathonläufer, der hinter seinem Werk herrenne – beziehungsweise hinter den Preisen, die es bei ihm förmlich regnet. Ungefähr 500 Leser haben beim »Prix Premiere« abgestimmt, rund 80 Prozent votierten für Wauters Roman.

Der reißt in der Tat mit in seiner Mischung aus schonungsloser Beschreibung gesellschaftlichen Elends, durch das eine Sphäre der Poesie wie ein rettender Lichtstrahl leuchtet. Ein jugendliches Geschwisterpaar, Leonora und Marciu, wächst in einem lieblosen Elternhaus unter der Knute einer Inseldiktatur auf. Sie werden getrennt, finden wieder zusammen, lehnen sich mit der Dorfgemeinschaft gegen das ausbeuterische Regime auf.

Die Schwierigkeit beim Übersetzen sei, klärt Sourzac auf, dass es nicht die eine Sprache, den einen Ton in dem Buch gebe, sondern ganz verschiedene, je nachdem, wer gerade spricht: poetisch und doch drastisch-illusionslos Leonora, hohl und oberflächlich die Vertreter des Regimes, voll ironischer Unflätigkeit Mama Luna, jene bissig-verschrobene Heilerin, die die Dörfler dazu anstachelt, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.

Kontrovers und provozierend

LTT-Schauspielerin Sabine Weithöner kitzelt unaufdringlich, aber sehr wirkungsvoll den ganzen Reiz aus dieser Sprache in Sourzacs Übersetzung: Jenes Balancieren zwischen drastischer Zustandsbeschreibung und dem Beharren auf einer fast märchenhaften Poesie, gegensätzlich, kontrovers, provozierend und doch voll innerer Schönheit. Nie könne man sagen, ob Wauters seine gleichnishafte Vision nicht schon wieder ironisch meine, bekennt Sourzac. Gerade das sei aber aus seiner Sicht die Stärke des Buches: Es entwickle Utopien, überlasse die Interpretation aber dem Leser.

Demnächst kommt die Longlist für die dann dritte Ausgabe des Preises heraus. Dann dürfen sich unter anderem die Mitglieder des Vereins der Freunde des Deutsch-Französischen Kulturinstituts als Jury wieder durch zwanzig Werke wühlen, die sie dann auf drei Favoriten reduzieren. Anschließend haben wieder die Leser das Wort. (GEA)