METZINGEN. Er hat einen gewinnenden, verschmitzten Charme, der musikalische Weltenwanderer Giora Feidman, dem man seine mittlerweile 88 Jahre allenfalls beim Gehen anmerkt und registriert, dass er seinen Bühnenauftritt im Sitzen absolviert. Doch kaum greift er zu seiner Klarinette, um das traditionelle Lied »Happy Nigun« mit spritzigem Drive zu intonieren, legt er eine geradezu jugendliche Frische an den Tag.
Auch Humor hat er. So, wenn er sich bei seinen launigen Ansagen zwischen den einzelnen Stücken mit selbstironischem Lächeln als »Opa der Klarinette« bezeichnet. Doch er findet genauso ernste Worte. Erinnert an den Aussöhnungsprozess zwischen Juden und Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg. Appelliert im Zeichen der Kriege in der Welt an Humanität und Zivilisation. Sein aktuelles, jetzt auch in der Metzinger Stadthalle präsentiertes Programm »Revolution of Love« will er als »musikalischen Ausdruck eines friedlichen Protests« verstanden wissen.
Botschaft des Friedens
Wie früher Leonard Bernstein und nach wie vor Daniel Barenboim ist er durchdrungen von der Überzeugung, mittels der Musik und der von ihm einbezogenen Künstlerkollegen eine Botschaft des Friedens in die Welt hinauszutragen. So präsentiert er den 1978 in Teheran geborenen und 2018 an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg promovierten Komponisten Majid Montazer dem Publikum nicht nur als Verfasser sensibler Charakterstücke, sondern bittet ihn auf die Bühne. Dort ergreift er dessen rechten Arm, reckt ihn in die Höhe und erklärt, man sehe nun zwei Hände der Versöhnung – diese eines Juden und jene eines Iraners. Um seinen Gedanken mit der teils auf Deutsch, teils in Englisch vorgetragenen Aussage abzuschließen: »We have already one religion for the ganze Welt – music«. Damit berührt er seine Zuhörer, darunter viele kundige, welche die Texte zu den verschiedenen Liedern aus dem jüdischen Kulturkreis kennen und mitsingen. Freilich macht es auch betroffen, wenn nicht gar zornig, dass Aggressoren, Usurpatoren und Kriegstreiber taube Ohren und stumpfe Sinne für solche Appelle an Humanität und ein friedvolles gesellschaftliches Miteinander haben.
Majid Montazer entwickelt sein musikalisches Material subtil, zurückhaltend und unprätentiös. Effekthascherei ist ihm fremd. Seine Melodiebildung hat etwas Tastendes, Suchendes, Fragendes, mitunter Trauriges und verleugnet ihre Verwurzelung in der traditionellen Musik nicht. Im schwerblütigen »The Same Way To God« lässt er Feidman gar zur Bassklarinette wechseln, was der Solist souverän tut und damit zugleich an seine eigenen künstlerischen Anfänge erinnert. Denn schon mit 21 Jahren erhielt er eine Festanstellung als Bassklarinettist im Israel Philharmonic Orchestra, wo er die Granden seiner Zeit wie Ormandy oder Mehta am Dirigentenpult erlebte.
Töne zum Hinschmelzen
Den übrigen Teil des Konzerts bestritt Feidman mit der üblichen Konzertklarinette, der er auch noch im hauchzarten Pianissimo Töne zum Hinschmelzen entlockte und die er in allen Registern in der ihm eigenen Art zum Singen brachte. So machte er zugleich deutlich, dass es zu kurz greifen würde, wolle man ihn auf den Klezmer-Stil reduzieren. Er ist im Jazz genauso zu Hause wie in Scott Joplins unsterblichem Rag vom »Entertainer«, psalmodiert nicht minder überzeugend in der Art eines synagogischen Kantors und erweist mit zwei Tangos von Astor Piazzolla eine Reverenz an sein Geburtsland Argentinien, wo er schon mit 18 Jahren Orchestermitglied im renommierten Teatro Colón geworden ist.
Gemeinsam mit dem durchweg elegant begleitenden Pianisten Vytis Šakuras, der Feidman kongenial trug, ließen die beiden Musiker vor dem inneren Auge des Hörers die geschmeidigen Bewegungen eines Tanzpaares entstehen. Und sein genauso anspruchsvolles wie umfangreiches Zwischenspiel hatte Šakuras glanzvoll gestaltet. Während des ganzen Abends, aber in diesem Stück besonders, wäre dem Pianisten statt des Keyboards ein Konzertflügel zu wünschen gewesen. (GEA)