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Aktuell INTERVIEW

Nah an der Gegenwart

Andreas Dresen über seinen Film »In Liebe, Eure Hilde« über eine NS-Widerstandskämpferin

Foto: nicht angegeben
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BERLIN. Mit »Nachtgestalten«, »Halbe Treppe«, »Sommer vorm Balkon«, »Halt auf freier Strecke«, »Gundermann« und zuletzt »Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush« hat der in Gera geborene Regisseur Andreas Dresen (61) etliche Preise abgeräumt. Seine Werke haben oft sozialkritische Hintergründe, teils erzählt Dresen aber auch Geschichten aus der Vergangenheit. So auch mit »In Liebe, Eure Hilde« über die NS-Widerstandskämpferin Hilde Coppi, die kurz nach der Geburt ihres Sohnes von den Nazis hingerichtet wurde. Wir trafen Andreas Dresen zum Interview in Berlin.GEA: Wie sind Sie auf die Geschichte der Widerstandskämpferin Hilde Coppi gestoßen?

Andreas Dresen:Sie kam tatsächlich über meine Drehbuchautorin Laila Stieler zu mir, die sich mit Frauen im Widerstand beschäftigt hatte. Das wurde bisher viel zu wenig beleuchtet. Neben Sophie Scholl gab es zahlreiche tapfere Frauen, von denen man viel zu wenig weiß. Gerade in der sogenannten Roten Kapelle. Die haben da nicht nur Kaffee gekocht.

Über Hilde Coppi wusste man bisher wenig …

Dresen: Als ich das Drehbuch las, habe ich mich sofort in diese Figur verliebt. Im Osten wurden Widerstandskämpfer ja immer als überlebensgroße Superhelden dargestellt, mit denen man sich deswegen kaum identifizieren konnte. Hier war plötzlich diese stille, bescheidene Frau, die auf so empathische Art ihrem Herzen folgt – das hat mir unheimlich gefallen.

Kannten Sie den Namen Hilde Coppi schon vorher?

Dresen: Straßen und Schulen wurden in der DDR nach ihr benannt, aber natürlich auch in Zusammenhang mit der sogenannten Roten Kapelle. Es gab 1970 auch einen Defa-Film über diese Gruppe. Ihren Namen kannte ich also, aber nicht die konkrete Geschichte dahinter.

Wie sind Sie bei der Suche nach der geeigneten Darstellerin vorgegangen?

Dresen: Das war gar nicht so schwierig, denn ich hatte sofort Liv Lisa Fries im Kopf. Liv war sich aber gar nicht sicher, ob sie das spielen kann, weil sie selbst ja eine sehr lebhafte und selbstbewusste junge Frau aus Berlin ist. Ganz anders eben als die zurückhaltende, fast schüchterne Hilde. Ich war aber überzeugt, dass Liv die Richtige ist. Man kann durch ihre Augen in die Seele schauen.

Sind Filme wie »In Liebe, Eure Hilde« über die Verbrechen in der NS-Zeit momentan nicht sogar besonders wichtig?

Dresen: Sicher. Aber natürlich haben wir bei der Planung nicht an Tagespolitik gedacht. Ein Film muss ja in zehn oder 20 Jahren noch eine Nachricht haben und in anderen Regionen der Welt auch funktionieren. Wir haben schon vor vier Jahren mit dem Stoff begonnen. Klar gab es damals bereits rechtspopulistische Tendenzen. Da denkt man: »Ja, das passt schon in diese Zeit.« Aber eher als allgemeine Verständigung darüber, was für eine ethisch-moralische Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft jeder Einzelne hat.

Kann das ein Film schaffen?

Dresen: Er kann einen kleinen Beitrag zum Diskurs leisten oder Leute anregen, indem er sie berührt und vielleicht über Dinge nachdenken lässt. Unser Film kommt zu einem Zeitpunkt heraus, wo wir sehr heftig über die erstarkende Rechte diskutieren. Dadurch bekommt er eine aus meiner Sicht unerwünschte Aktualität.

Wie meinen Sie das?

Dresen: Es wäre ja besser, wenn wir in der Gesellschaft nicht schon wieder über diese Fragen diskutieren müssten. Aber so freue mich eben über jeden AfD-Wähler, der in den Film geht. Ich glaube, wir müssen da ohnehin eine andere Form von Diskurs miteinander finden. Nicht verteufeln, sondern offenen Meinungsstreit führen. Eine funktionierende Demokratie erträgt das. Sonst machen wir solche Parteien immer stärker.

Wie herausfordernd ist es, einen historischen Film zu drehen?

Dresen: Es gibt quasi eine Art Kanon, wie Filme über die Nazizeit auszusehen haben: Flaggen mit Hakenkreuz, gewienerte Stiefel, eingeworfene Schaufenster, Fackeln – und das alles in Sepiafarben getaucht und mit dramatischer Musik unterlegt. Das alles wollten wir aber nicht.

Sondern?

Dresen: Wir wollten den Film so nah wie möglich an die Gegenwart rücken, ohne uns bewusst historisch falsch zu verhalten, indem man beispielsweise alles einfach im heutigen Berlin spielen lässt. Das hätte ich zu irritierend gefunden. Trotzdem gibt es kaum Nazisymbolik; auch die Kleider der jungen Leute im Film haben wir in Secondhand-Läden gekauft, ihre Frisuren sind ziemlich heutig.

Warum dieser Weg?

Dresen: Diese Geschichte von vor über 80 Jahren sollte für heute begreifbar werden und nicht in einer Art Museum spielen. Dadurch wollten wir Identifikationsmöglichkeiten schaffen, damit man sich abgleichen kann mit dem, was den Figuren im Film widerfährt. Damit man sich vielleicht auch fragt, wo man selbst unter diesen Umständen gewesen wäre.

Sie standen auch mit Hans Coppi Jr., dem Sohn von Hilde und Hans Coppi, in Kontakt. Er hat seine ermordeten Eltern nie bewusst kennengelernt. Wie wichtig war er dennoch für den Film?

Dresen: Er hat uns während der gesamten Zeit begleitet und war die wichtigste Quelle für unsere Arbeit. Er hat uns sein ganzes Archiv geöffnet, vor allem aber sein Herz. Er hat natürlich Fotos, Briefe, Dokumente, aber für Liv und mich war es am schönsten, ihn einfach zu erleben. Er ist so ein sensibler, zarter, feiner Mann, und ich dachte immer, wenn ich ihn sah, näher komme ich seiner Mutter nicht.

Wie hat er reagiert?

Dresen: Er hat sich immer wieder gewünscht: »Erzählt von meinen Eltern als Menschen.« Die Geschichte der sogenannten Roten Kapelle wurde nach dem Krieg ja von allen Seiten ideologisch benutzt und verzerrt. Im Osten waren ihre Mitglieder die Superkommunisten, im Westen galten sie als Vaterlandsverräter, weil sie versucht hatten, militärische Informationen an die Sowjetunion zu übermitteln. Der Staatsanwalt, der Hilde und Hans Coppi zum Tode verurteilte, war in den Sechzigerjahren noch Kommunalpolitiker in Hessen. Es hat bis 2009 gedauert, bis der Deutsche Bundestag die Todesurteile gegen die Mitglieder dieser Gruppe aufgehoben hat. (GEA)

 

»In Liebe, Eure Hilde«: ab 17. Oktober in den Kinos