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»Mir zaynenale Brider«

REUTLINGEN.Die Kabbala sagt: Ein Klezmer macht keine Musik, sondern er gibt Musik weiter. Er ist ein Gefäß (=Kli) des Liedes (=Zemer), ein Kanal zur Musik.

Eigentlich spielt es keine Rolle, dass die Band »Klezmatics« einen Grammy gewonnen hat und die kommerziell erfolgreichste Klezmerband der Welt ist. Denn Erfolg und Renommee interessiert einen Klezmer nicht. Klezmatics, die Band aus New York, die es schon seit 30 Jahren gibt, vereint alle Menschen, ob jung oder alt, jüdisch, deutsch oder chinesisch. Zwar ist Klezmer ein jüdisches Phänomen, doch zeigt sich, gerade auf Klezmer-Konzerten, dass es hier um die Grundbedürfnisse aller Menschen geht: Nämlich das Grundbedürfnis des Singens und Tanzens. Das Konzert der Klezmatics am letzten Freitag im franz.K ist dafür ein gutes Exempel. Am Ende wird das Publikum und die Band eins: Es wird fröhlich geklatscht, gemeinsam »Oy, oy, oy« gesungen, einige starten sogar eine Polonaise durch den ganzen Raum.

Musik als Gemeinschaft

Bei den Klezmatics gibt es keine Solisten, auch wenn mal der Saxofonist Matt Darriau oder die Violinistin Lisa Gutkin alleine spielt. Niemand ragt hier aus der Reihe heraus, denn ihre Musik ist immer Gemeinschaft stiftend. Freilich gibt es hier auch Virtuosität, doch die gibt es nicht um ihrer selbst willen. Virtuosität geschieht hier rein zufällig, durch die Vereinigung von Ekstase und Absurdität, die jeder Klezmermusik innewohnt.

Die Klezmatics spielen mal schmutzig, mal sauber, wie es eben kommt, wie der Klezmer eben aus ihnen heraussingt. Denn der Klezmer spielt nicht, es spielt aus ihm – oder besser gesagt: Es singt aus ihm. Der Klezmer ist nicht nur abstraktes Getöne, der Klezmer ist ein Idiom, ein Idiom der universellen Sprache Musik.

Freilich könnte man dem Klezmer vorwerfen, dass es sich rein musikalisch im Grunde genommen nur um ein Auf- und Abklappern wilder Tonleitern handelt. Viele der Lieder, welche die Klezmatics im franz.K vorlegten, klangen ähnlich, hatten einen ähnlichen Duktus, einen ähnlichen Drive. Doch dieser Drive nimmt am Ende selbst den Skeptiker in den Bann.

Selbstironie und Fröhlichkeit

Diese Musik verkörpert Selbstironie, Fröhlichkeit und Nonchalance und vermittelt diese auch. Genauso wie sie auch eine gewisse Offenheit kundgibt, musikalische Offenheit: Die Klezmatics unterscheiden nicht zwischen Jazz, Ska, amerikanischer Volksmusik, Rock oder gar Neuer Musik. Hier gibt es keine Schranken. Das ist kein Cross-over, kein Kreuzblenden konträrer Stile, hier verschmelzen Unterschiede zu einer Einheit.

Hier gibt es keine Hierarchie, kein Besser oder Schlechter. Oder wie der Trompeter Frank London von den Klezmatics sagt: Musik, die als Klezmer funktioniert, ist Klezmer. Alle Menschen werden Brüder, heißt es in der Europahymne, so heißt es auch bei den Klezmatics: »Un mir zaynen ale brider, oy, oy, ale brider, und mir zingen freylekhe lider, oy, oy, oy.« (GEA)