REUTLINGEN. Martin Grubinger ist nicht nur ein Schlagwerker der klaren (Rhythmus-)Schläge, sondern auch jenseits der Bühne ein Mann der klaren Worte. Aus seiner Überzeugung für die sozialdemokratische Idee macht der Österreicher ebenso wenig einen Hehl wie aus seiner Haltung gegenüber autoritären Machthabern: »Man kann nicht Schostakowitsch und Strawinsky spielen und gleichzeitig ein enger Freund von Putin sein – als Künstler kann man sich nicht mit den Diktatoren, Despoten und Unterdrückern zusammentun und die Vorteile dieser Systeme nutzen.« Vor seinem Auftritt mit seinem Vater und dem Pianisten Per Rundberg bei den Herbstlichen Musiktagen in Reutlingen hat Christoph Forsthoff den 35-Jährigen getroffen.
GEA: Publikum und Kritiker sehen in Ihnen mehr als einen Schlagzeuger, nämlich einen Klangperformer – trifft das Ihre künstlerische Idee?
Martin Grubinger: Oft heißt es ja beim Schlagzeug, das sei ein bisschen Trommeln. Ich würde mir wünschen, dass die Leute sagen: Ich habe Farben erlebt und etwas entdeckt, das ich so noch nie mit dem Schlagzeug assoziiert habe. Dass wir einen Klanghauch in den Saal zaubern oder man nicht mehr den Anschlag hört, sondern dass wir den Marimba-Klang durch den Schlägel und die Saalakustik in einen Orgelakkord verwandeln.
Manche glauben, in Ihrem Spiel eine erotische Dimension zu entdecken – zu viel der Schwärmerei?
Grubinger: (lacht) Das mit der Erotik kann ich nur schwer nachvollziehen. Ich habe ganz sicher kein erotisches Verhältnis zu meinen Instrumenten, sondern eher eine kollegial-kumpelhafte, freundschaftliche Beziehung. Gemeinsam sind wir eher auf einer Mission, als dass man von Liebe sprechen sollte.
Eine Mission, die Sie öfter auch an Orte jenseits der Konzerthäuser führt.
Grubinger: Ja, wir machen viele Workshops, gehen etwa in Gefängnisse und spielen dort für die Insassen, arbeiten mit Kids wie Senioren zusammen. Wichtig ist uns zu zeigen, dass dieses Multikulturelle, dieses Vielfältige die Ur-DNA unseres Instrumentes ist. Als wir etwa in Leipzig mal einen mehrtätigen Workshop an einer Schule gemacht haben, wo die sozialen Spannungen wie auch gewisse Ressentiments zu spüren waren. Schon, wenn ich etwa mit meinem Schlagzeuger Louis Sanou aus Burkina Faso da reingehe, und er trägt seine traditionelle Tracht, liegt da oft so eine Grundskepsis in der Luft. Doch dann machen wir Musik, grooven miteinander – und auf einmal ist nicht mehr entscheidend, woher wir kommen, welche Hautfarbe wir haben oder welcher Religion wir angehören, sondern wir spielen einfach zusammen Musik.
Klingt fast zu schön, um wahr zu sein.
Grubinger: Und doch glaube ich, wenn dann die Despoten von der NPD kommen, Frau Le Pen aus Frankreich, die FPÖ in Österreich und wie sie alle heißen und sagen: Wir müssen uns abschotten – dann geschieht ein Konnex im Kopf. Plötzlich ist da der Gedanke: Moment mal, ich hatte doch so tolle Erlebnisse in musikalischen Workshops mit Schlagzeugern, mit Menschen, die aus Afrika, Südamerika und Asien kommen – das will ich nicht missen, denn das habe ich als Bereicherung für mein Leben empfunden. Wenn das passiert, dann haben wir einen kleinen Beitrag geleistet zu mehr Humanismus und einer multikulturelleren Welt.
»Ich habe kein erotisches Verhältnis zu meinen Instrumenten, sondern ein kumpelhaftes«
Eine Arbeit, für die Sie wie auch für Ihre Konzerte eine ausgeprägte körperliche Fitness brauchen – wie sieht da Ihr Trainingsprogramm aus?
Grubinger: Außer an Konzerttagen sitze ich jeden Tag eine Stunde am Ergometer oder auf dem Rennrad. Und da ich auf dem Lande lebe, versuche ich diese Einheiten draußen zu absolvieren. Dazu kommen diverse Übungen in meinem Fitnessstudio. Dann gibt’s natürlich diverse Stretching-Übungen. Ich hatte auch die Möglichkeit, mit dem Diagnostik- und Leistungszentrum von Red Bull Salzburg zusammenzuarbeiten, das die dort für ihre Sportler haben. Die haben für mich ein spezielles Programm erstellt.
Auch in Sachen Ernährung?
Grubinger: (lacht) Da muss ich ehrlich zugeben: Das ist meine größte Schwäche – ich liebe wirklich alles, was ungesund ist. Sei es Kuchen, Pudding, Schokolade oder auch Pizza. Meine Mutter versucht mich da immer wieder mit mehr Gemüse und Obst hinzutrimmen, aber das ist mein echtes Problem.
Dieses Laster hält Sie nicht ab, sechs Sticks gleichzeitig in einer Hand zu halten. Wie funktioniert dieser Trick?
Grubinger: Da mein Vater ja auch Schlagzeuger ist, hatte ich das Glück, dass ich schon als Dreijähriger mit dem Schlagzeugspiel begonnen habe und zu Hause immer dabei war, wenn er seine Schüler unterrichtet hat. Eigentlich habe ich mit dem Sprechenlernen auch das Schlagzeugspiel gleich mitgelernt. Insofern sind diese sechs Sticks in einer Hand im Unterbewusstsein so verankert, dass ich darüber gar nicht mehr nachdenke.
Sie sollen über 600 Instrumente daheim haben. War das ein Grund für den Bau des eigenen Hauses? Bis vor ein paar Jahren wohnten Sie ja in einem Anbau am elterlichen Haus …
Grubinger: Ja, es gab diesen Anbau, viel zu klein und direkt daneben das Schlafzimmer der Eltern – in der Nacht muss das der Wahnsinn gewesen sein, auch wenn sie immer gesagt haben, sie hätten dennoch gut geschlafen. Doch irgendwann wurde es kompliziert, weil wir das Instrumentarium in fünf Räumen an fünf verschiedenen Orten gelagert hatten.
Also haben Sie sich ein Grundstück bei Neukirchen in Oberösterreich gekauft und ein Haus gebaut.
Grubinger: Ja, mit einem großen Instrumentenlager, einem großen Probenraum und allem, was sich der Schlagzeuger so wünscht wie die ebenerdige Zufahrt für den Transport-Lkw, ohne Türschwellen, doch dafür mit großen Türen, um all die Pauken, Marimbas und Klaviere einfach rein- und rausschieben zu können – und einem eigenen Tonstudio.
Nun haben Sie ja aber kaum Zeit, diese Vorzüge wirklich zu genießen, denn 270 Tage im Jahr sind Sie auf Tour.
Grubinger: Da haben Sie recht, aber als Schlagzeuger haben wir auch so etwas wie ein Ablaufdatum. Die Muskulatur und die Gelenke geben uns ein gewisses Zeitfenster vor: Die extremen Programme wie den Schlagzeug-Marathon, die Percussive-Planet-Konzerte über vier Stunden oder die intensiven Tourneen, die kann ich nur in einem gewissen Zeitfenster machen – und das nutze ich jetzt auch. Andererseits bin ich wahnsinnig gern zu Hause, weil ich aufs Land fokussiert bin. Ich könnte niemals in der Stadt leben, ich liebe es, in den Bergen zu wandern, im See zu schwimmen, Rad zu fahren oder auf dem Fußballplatz zu stehen. Wenn ich dann unterwegs bin, und das Orchester spielt Mahlers zweite Sinfonie – Musik, die er ja am Attersee komponiert hat – dann packt mich vor lauter Liebe zu Österreich das Heimweh.
»Wenn das Orchester Mahlers Zweite spielt, packt mich das Heimweh nach Österreich«
Deutlich lukrativer wäre es, wenn Sie Ihre Schlagzeugtätigkeit im Pop- und Rockgeschäft ausübten. War das mal ein Thema für Sie?
Grubinger: (lacht) Ja, klar – wie jeder Schlagzeuger habe auch ich am Drumset angefangen und schon als Kind zu diesen ganzen Playalongs gespielt von den Blues Brothers, Sting, Police, Genesis oder Led Zeppelin. Man setzt sich die Kopfhörer auf, hört die Songs und spielt dazu. Und klar wäre es ein Traum, etwa Drummer bei U2 zu sein und in einem Stadion vor 90 000 Zuschauern zu spielen! Aber am Ende bin ich eben auch Österreicher. In Österreich kommt einfach jeder mit klassischer Musik in Berührung und beschäftigt sich intensiv damit. Vielleicht liegt es auch ein wenig in unserer DNA als Österreicher, dass wir diese zum Teil auch etwas dunkle Seele in uns tragen und diese Melancholie und Hingabe, diese tiefen Emotionen, die in all diesen Werken stecken, besonders schätzen.
Schlagzeuger hätten ein Verfallsdatum, sagten Sie. Was kommt dann?
Grubinger: Das ist eine gute Frage. Ich für mich habe einen Traum: Mit 40 möchte ich noch einmal etwas ganz anderes machen – möchte an eine Universität gehen als ganz normaler Student und Geschichte studieren, weil mich das fasziniert. Ich lasse keine Dokumentation aus und sauge historische Bücher in mich hinein, denn Geschichte bewegt mich zutiefst. Zentral ist für mich dabei die Maxime von Helmut Schmidt: Nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Zukunft verstehen – das gilt für mich als Künstler ebenso wie als Mensch. (GEA)
ZUR PERSON
Martin Grubinger, 1983 in Salzburg geboren, erhielt schon in früher Kindheit Schlagzeugunterricht vom Vater. Er studierte am Bruckner-Konservatorium in Linz und am Mozarteum in Salzburg. Er gilt als einer der weltbesten Marimba-Spieler und hat Werke vieler Komponisten uraufgeführt. Sein vierstündiges Projekt »The Percussive Planet« wurde 2010 und 2011 in Mainz aufgeführt. Grubinger ist mit der türkischen Pianistin Ferzan Önder verheiratet und lebt in Neukirchen in Oberösterreich. (GEA)
KONZERTINFO
Martin Grubinger und Freunde treten im Rahmen der Herbstlichen Musiktage Bad Urach am Sonntag, 30. September, um 19.30 Uhr in der Stadthalle Reutlingen auf. Mit dabei ist Martin Grubinger senior , ebenfalls am Schlagwerk, sowie der Pianist Per Rundberg. (GEA)