GRAFENAU-DÄTZINGEN. Im Katalog zur Grieshaber-Ausstellung 2001 der Galerie Schlichtenmaier vermerkt Petra Olschowski, inzwischen Landeswissenschafts- und Kunstministerin, dass Margot Fürst (1912–2003) den von ihr verwalteten Grieshaber-Nachlass aus Altersgründen der Galerie Schlichtenmaier zur weiteren Pflege und Verwertung übergeben habe. Offensichtlich zehrt die Galerie nach wie vor von diesem umfangreichen Konvolut. Denn mit der aktuell laufenden Ausstellung im Schloss Dätzingen bei Grafenau im Kreis Böblingen unter der Überschrift »Von Gauklern, Engeln und Tieren« ist dies bereits die zehnte Schau der Galerie mit Werken des Holzschneiders und Malers von der Achalm.
Der klassizistische Schlossbau mit seinem einladenden Entree bietet einen besonderen Schauplatz für das breite Spektrum von Druckgrafik des 1981 gestorbenen Holzschneiders. Einmal mehr gibt die Ausstellung mit ersten Holzschnitten der 1930er- bis in die 1970er-Jahre Anlass, Grieshabers Intention zu streifen. In seiner Einführung gelang dies Dr. Günter Baumann trefflich, indem er ihn »Weltbürger« nennt, der sich »als Gaukler im Zirkus namens Welt und als Kosmopolit in seinem Refugium auf der Achalm, als Beschützer der Kreatur und der Natur genauso wie als Homo politicus« wusste.
Natur, Sagen, Mythen
Grieshaber entlehnt seine Motive sowohl den großen Themenkreisen wie Mensch und Natur, Sagen und Mythen, Religion, Kunst und Kultur als auch aus dem eigenen Erleben. »Das Biografische bleibt für mich Anlass und mehr: Grund zur Formfindung«, heißt es bei ihm. Er verwirklichte sich in einer ganz eigenen Bilderwelt, indem er dem Holzschnitt den Rang eines gemalten Tafelbildes vermittelte, zugleich die Eigenschaft der Vervielfältigung beibehielt, um seine visuelle Botschaft einem möglichst großen Teil der Gesellschaft zu vermitteln.
Sein prägendes Wirken begann nach der Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft 1946 mit der Stilfindung des modernen Holzschnitts. »Mit symbolischer Vielschichtigkeit«, so Baumann, »widmet er sich den Tages- und Jahreszeiten, den Mythen, der Tierwelt. Raffiniert verzahnt er in mehreren Druckstöcken die verschiedenen Existenzen so miteinander, dass ein hochkomplexes Gefüge aus Farben und Formen entsteht.«
Das Reich der Engel war für Grieshaber ein unerlässliches Thema. Im »Werkverzeichnis der Druckgraphik« findet sich über ein halbes Hundert mit Bezug auf solche Lichtgestalten. Dominant die 23 Ausgaben seiner Zeitschrift »Engel der Geschichte«. Anregung zu diesem Titel bot ihm Paul Klee, der 1920 die aquarellierte Zeichnung »Angelus Novus« schuf. Der Philosoph Walter Benjamin (1892–1940) erwarb dieses Bild und verfasste dazu einen furiosen Text. Grieshaber übernahm den Wortlaut eins zu eins – jeweils als Vorwort seiner von 1964 bis 1976 herausgegebenen Publikation.
Die bis Mitte Januar dauernde Ausstellung bei Schlichtenmaier ist eine großzügig angelegte Bildergalerie. Einzeldrucke wie das in Lavendelblau gehaltene »Paar« (1948) mit der Widmung »einen schönen Gruß von der umkämpften Achalm«. Oder die Hinterglasmalerei »Maria mit dem Kind« (1948). Oder der Farbholzschnitt »Der Geburtstag« (1952).
Für den Kunstverein Ulm entstand der Holzschnitt »Spätsommer« (1956), auf dem sich ein Paar in Rotbraun und Violett verlustigt. Der in Schwarz konzipierte zehnteilige Zyklus »Die dunkle Welt der Tiere« (1959) ist mit drei Blättern vertreten. Aus der Kassette »Dem Feuervogel« (1961) mit zehn Farbholzschnitten findet sich die Hälfte als Exponate, wobei das Motiv »Gesindel des Kötschei« als Entwurf zum Holzschnitt in Kohle mit Pastellkreide besonders auffällt.
Im Schloss Dätzingen gehört es zum Selbstverständnis, Exklusives von Grieshaber auszustellen. Die vorhandenen Maquetten als Gouache zu den Holzschnitten »Tiefebene« (1964) und »Affenliebe« (1964) unterstreichen dies. Letztere mit dem Brieftext: »liebe Margot, es war nichts mit der Affenliebe, auch nichts mit der Maria trotz der Gebete vom Kloster Siessen. Es wurde ein Paar, wie hier (?) qui s’exquise s’accuse Gries«.
Entwurf zum »Weltgericht«
Wenn von Highlights bei Schlichtenmaier die Rede ist, trifft dies vor allem auf den Entwurf »Das Weltgericht« (1970) zu. Für die Wandgestaltung des Sitzungssaals des Verteidigungsausschusses im neuen Bonner Abgeordnetenhaus (heute Regionales Informationszentrum der Vereinten Nationen für Westeuropa) wählte Grieshaber sein Triptychon altarartig. Es besteht aus einem Mittelteil als Holzstock (siehe Entwurf) und den beiden Seitenflügeln mit Eva- und Adamdarstellung als Resopal-Unterdruck.
Baumann sieht dies als Reaktion auf den Kalten Krieg: »Das apokalyptische Flammeninferno mit Atompilz und einem richtenden Engel, flankiert von Adam und Eva, könnte als gewaltiger Auftakt dessen gesehen werden, was später die Neuen Wilden auszeichnete.« Das Aquarell mit Collage mache schlagartig klar, wie zeitgemäß dieses ganze Werk sei in einer Zeit, die erneut Gefahr laufe, in einem atomaren Weltkrieg zu entflammen. (GEA)
AUSSTELLUNGSINFO
Die Ausstellung »HAP Grieshaber: Von Gauklern, Engeln und Tieren« in der Galerie Schlichtenmaier in Grafenau (Schloss Dätzingen) dauert bis 14. Januar. Geöffnet ist Mittwoch bis Freitag 11 bis 18.30 Uhr, Samstag 11 bis 16 Uhr; am 24. und 31. Dezember ist geschlossen. (GEA) www.schlichtenmaier.de