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Liebeserklärung ans Theater: Reutlinger »Tonne« bringt das Stück »Molière« heraus

Schwungvoll, nachdenklich und liebevoll hat Enrico Urbanek an der »Tonne« das von Thomas B. Hoffmann geschriebene Stück »Molière. Ein Leben fürs Theater« inszeniert. Die Uraufführung fand nicht wie geplant im Freien, sondern im Theatersaal statt.

Mehr in der Luft als am Boden: Szene aus dem Reutlinger Sommertheater »Molière« mit (von links) David Liske, Thomas B. Hoffmann,
Mehr in der Luft als am Boden: Szene aus dem Reutlinger Sommertheater »Molière« mit (von links) David Liske, Thomas B. Hoffmann, Justine Rockstroh und Michael Schneider. Foto: Beate Armbruster / Tonne
Mehr in der Luft als am Boden: Szene aus dem Reutlinger Sommertheater »Molière« mit (von links) David Liske, Thomas B. Hoffmann, Justine Rockstroh und Michael Schneider.
Foto: Beate Armbruster / Tonne

REUTLINGEN. Gerade hat Molières Compagnie noch über den Tod philosophiert, da sieht man im Reutlinger Sommertheater der Tonne Molière auch schon den letzten Atemzug tun. Doch er kehrt wieder, als keiner mehr mit ihm rechnet, fragt überrascht, als alle abgegangen sind und er sich wieder aufrichtet: »Wo seid ihr denn hin?«

Molière (1622-1673) ist immer noch da. Seine Stücke werden heute kaum seltener gespielt als noch vor Jahrzehnten, als sie auch schon Klassiker waren. Klassiker der Komödie. Obwohl Molière, der Schauspieler, Theaterdirektor und Bühnenautor, auch gerne als Tragöde die Menschen berührt hätte. Sein Publikum aber wollte ihn in ernsten Rollen nicht sehen.

Facettenreiches Spiel

Es ist ein gleichermaßen kraftvoll wie fein schattiertes Lebensbild, das die Tonne in »Molière« zeichnet. Der Berliner Schauspieler Thomas B. Hoffmann hat das Stück fürs Reutlinger Sommertheater geschrieben und füllt mit facettenreichem Spiel auch die Titelrolle aus. Die Uraufführung am Donnerstagabend wurde wegen einer ungünstigen Wetterprognose in den Saal Tonne 1 verlegt. Normalerweise wird unter freiem Himmel im Spitalhof gespielt, bis zum 4. August noch.

Nun könnte man meinen, dass sich in dem Stück alles um Molière dreht. Tut es auch. Und doch ist es zugleich eine bittersüße Liebeserklärung an die Schauspielerei, an das Ensemble-Theater, an Kollegialität und Freundschaft. Werte, die mitunter strapaziert werden, oft Bewährungsproben unterzogen sind, auch in Molières Leben. Das von Enrico Urbanek schwungvoll, nachdenklich und liebevoll inszenierte Stück lässt keinen Zweifel daran, dass hier »ein Leben fürs Theater« erzählt wird, wie es im Untertitel heißt.

Spiel im Spiel: Michael Schneider (links), Chrysi Taoussanis und Thomas B. Hoffmann im Theaterabend über den Schauspieler und Ko
Spiel im Spiel: Michael Schneider (links), Chrysi Taoussanis und Thomas B. Hoffmann im Theaterabend über den Schauspieler und Komödienautor Molière. Foto: Beate Armbruster / Tonne
Spiel im Spiel: Michael Schneider (links), Chrysi Taoussanis und Thomas B. Hoffmann im Theaterabend über den Schauspieler und Komödienautor Molière.
Foto: Beate Armbruster / Tonne

Michael Schneider, der wie die anderen Schauspielerinnen und Schauspieler mehrere Rollen spielt, darf besonders gewissenhaft und penibel sein, den Antreiber für die anderen geben. Er ist anfangs, als nach und nach alle eintrudeln, einfach nur der heutige Schauspieler, der sich darüber echauffiert, dass auf der Bühne noch nichts vorbereitet, nichts eingerichtet ist. Justine Rockstroh, die dazukommt, scheint sich mehr für die Frage zu interessieren, welche Strümpfe sie heute anziehen soll. Chrysi Taoussanis lässt die anderen wissen, dass sie ohne Gage grundsätzlich immer ihren Text vergisst, folglich nur spielen kann, wenn die Bezahlung gesichert ist. David Liske schiebt sein Zuspätkommen auf die Deutsche Bahn. Und der hüstelnde Thomas B. Hoffmann muss erst mal den eingebildeten Kranken in sich ablegen, bevor er ihn auf der Bühne spielen kann.

Der Autor Hoffmann und das Ensemble spielen lustvoll mit diesem Alltags-Setting zwischen Satire und Realismus. Und das Premierenpublikum lacht, wenn beispielsweise Schneider Feuer und Leidenschaft von den Mitspielern einfordert und Liske daraufhin betont, dass er schon mal die Leiche in einem »Tatort« war.

In mehr als nur einer Rolle gefordert: David Liske und Justine Rockstroh.
In mehr als nur einer Rolle gefordert: David Liske und Justine Rockstroh. Foto: Beate Armbruster
In mehr als nur einer Rolle gefordert: David Liske und Justine Rockstroh.
Foto: Beate Armbruster

Dann ist das Ensemble bereit für die Illusion. Man erlebt die Schauspielerinnen und Schauspieler bei Proben und auszugsweise auch Aufführungen von Molière-Stücken, insbesondere aus »Arzt wider Willen«, das Elemente der italienischen Commedia dell’arte mit der französischen Farce und dem mittelalterlichen Fabliau verbindet. Man sieht die eingeschworene Gemeinschaft hungern und frieren, harmonisch beisammen sitzen und zanken. Da sind sie dann Angehörige einer Wanderbühne, die über ein Jahrzehnt lang mit einem Thespiskarren durch Frankreich ziehen. Fahrendes Volk, das immer wieder bangen muss, dass man es in der Stadt auftreten lässt, vor deren Mauern es sich gerade befindet.

Zuvor hat die Truppe den jungen Jean-Baptiste Poquelin alias Molière vorgestellt, der sich fürs Theater begeistert und der seinen Vater, der ihm gerne das Amt des »Tapissier du Roi«, des königlichen Dekorateurs und Raumausstatters also, übertragen hätte, erst noch überzeugen muss, dass Komödiant der richtige Beruf für ihn ist.

Mit Mordfantasien überzogen

Was das für Molière später bedeutet - er kann nur nachts, mit einer Ausnahmegenehmigung in geweihter Erde begraben werden, da sein Beruf als nicht ehrbar genug gilt -, wird im rund zweieinhalbstündigen Stück (mit Pause) ebenfalls deutlich. Genau wie die Gefahren für Leib und Leben, die sich aus seiner Tätigkeit als Bühnenautor im Frankreich des 17. Jahrhunderts ergeben. Ein religiöser Eiferer, der ihn mit Verwünschungen und Mordfantasien überzieht, gehört zu den düstersten Figuren des Stücks. Man erfährt auch von einem Zeitgenossen, der wegen seiner Schriften auf dem Scheiterhaufen endet.

Um Snobismus und Extravaganz, die der Lächerlichkeit preisgegeben werden, geht es nach der Pause, wenn - die Compagnie ist da zur »Troupe du Roi« am Hof Ludwigs XIV. berufen worden - Molières Satire »Die lächerlichen Preziösen« angespielt wird. Wunderbar, wie das Ensemble da stolziert! Opulente Perücken und Sibylle Schulzes spleenig-pompösen Kostüme unterstützen die Schauspielerinnen und Schauspieler dabei. (GEA)