TÜBINGEN. Wie der schon ausschaut: kariertes Hemd, Cordhütchen, die unvermeidliche Herrenhandtasche, dazu noch der breite fränkische Dialekt. Doch Erwin Pelzig, das Alter Ego des Kabarettisten Frank-Markus Barwasser, tut nur so unterkomplex. Am Freitagabend im ausverkauften Sudhaus-Saal, wo er mit seinem Programm »Der wunde Punkt« auftrat, erklärt Barwasser scharfzüngig den Tübingern die Welt. Wenn er sich den einen oder anderen Klamauk für schnelle Lacher (»wirklich, ich vermisse Andi Scheuer«) auch nicht verkneifen konnte, so war es doch bestes politisches Kabarett in der Tradition von Lach- und Schießgesellschaft oder Georg Schramm: Seine Pointen hinterlassen Widerhaken im Kopf.
»Der wunde Punkt« sind die Kränkungen, die das menschliche Leben durchziehen. Dazu gehören jene existenziellen Fragen, an denen sich schon Sigmund Freud abarbeitete und die Pelzig zu der Erkenntnis zusammenfasst, der Mensch sei eben doch nur eine Art »Trigema-Äffchen 2.0«. Pelzig erklärt, was Kränkungen so gefährlich macht. »Beleidigt werden Leberwürste, gekränkt werden aber die Seelen. Und gekränkte Seelen sind tickende Zeitbomben, beleidigte Leberwürste nass gewordene Zündplättchen.«
Monolog eines Demokratiezweiflers
Barwasser hat 2015 seine Fernsehkarriere als Erwin Pelzig auf Eis gelegt, war aber zuletzt auf 3Sat wieder zu sehen. Seit 2021 ist er nun mit seinem »wunden Punkt« wieder auf Reisen, nachdem Corona auch sein Leben umgekrempelt hatte. Zudem war er mit 56 Jahren erstmals Vater geworden. Einer der Höhepunkte des Programms ist der Monolog, für den Pelzig in die Rolle eines jungen Demokratiezweiflers schlüpft. Nicht nur, dass deutsche Topmanager »ihren Zweitwohnsitz im Enddarm des chinesischen Präsidenten« eingerichtet haben, wie der Junge lamentiert. Eine Diktatur sei auch noch »nicht besser, aber viel schneller«. In China wurden in fünf Jahren 1.100 Kilometer Bahngleise verlegt, referiert Pelzig. In Stuttgart sind es 60 Kilometer in 25 Jahren.
Barwasser ist schauspielerisch brillant - weder böse-verbittert noch altersmilde. Die Gastrolle als Coronavirus meistert er ebenso souverän wie die Stammtischauftritte mit Hartmut und Dr. Goebel, bei denen er zwischen Weißbier, Rotwein und Wasser Rollen tauscht. Er arbeitet sich ab am Gendern, der Künstlichen Intelligenz, an Putin und Beatrix von Storch. Seine Attacken gegen die frauenverachtenden iranischen Mullahs bringen ihm ausdauernden Szenenapplaus ein.
Appell für mehr Freundlichkeit
Fast hätte der Abend mit einem glühenden Appell zu mehr Freundlichkeit (»eine Handvoll Wohlwollen kann doch jeder schaffen«) geendet. Doch so watteweich will Erwin Pelzig die Zuschauer nicht ziehen lassen. Minutenlanger Beifall holt ihn nach mehr als zwei Stunden noch einmal auf die Bühne. Zur guten Nacht lässt der gelernte Journalist Barwasser Erwin Pelzig erklären, warum beim Presserat noch Luft nach oben ist. (GEA)