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Aktuell Dokumentation

Kulturerbe in 32 Leitz-Ordnern

Der Künstlerinnenverband Gedok vertraut sein Archiv dem Reutlinger Stadtarchiv an.

Barbara Krämer (links) und Dr. Kathrin Fastnacht zeigen hier eines der ältesten Dokumente bei der Übergabe des Gedok-Archivs.
Barbara Krämer (links) und Dr. Kathrin Fastnacht zeigen hier eines der ältesten Dokumente bei der Übergabe des Gedok-Archivs. Hinten Stadtarchivleiter Roland Deigendesch und Kulturamtsleiterin Anke Bächtiger. FOTO: KNAUER
Barbara Krämer (links) und Dr. Kathrin Fastnacht zeigen hier eines der ältesten Dokumente bei der Übergabe des Gedok-Archivs. Hinten Stadtarchivleiter Roland Deigendesch und Kulturamtsleiterin Anke Bächtiger. FOTO: KNAUER

REUTLINGEN. Zwar platzt das Reutlinger Stadtarchiv aus allen Nähten. Für das Dokumentenvermächtnis der Gedok jedoch muss unbedingt noch Platz sein in den Räumen im Rathaus. Das sei gar keine Frage, betonte Stadtarchiv-Chef Roland Deigendesch. Stehe der Künstlerinnenverband doch für ein Stück kultureller Entwicklung der Stadt nach 1945.

32 Leitz-Ordner umfasst das Dokumentenerbe der Gedok. Die sie nun dem Stadtarchiv anvertraut. Nicht als Schenkung, sondern als »Hinterlegung«. Die Unterlagen gehören weiterhin der Gedok, aber das Stadtarchiv bewahrt sie auf. Und sorgt dafür, dass Interessenten Zugang zu ihnen haben. Dass sich Menschen für dieses Stück Kulturgeschichte interessieren, ist die Hoffnung der Gedok-Vorsitzenden Barbara Krämer. Und die von Gedok-Mitglied Dr. Kathrin Fastnacht, die die Unterlagen vor der Übergabe bereinigt und sortiert hat. Sie hoffen auf Studierende, die das Archiv für eine Bachelor- oder Masterarbeit durchforsten. Und so Licht in ein Stück weiblicher Kunstgeschichte in der Region bringen.

Das Sortieren des ganzen Materials und das Bereinigen um Duplikate und Wertloses hat Fastnacht jedenfalls etliche Abende und Wochenenden gekostet. »Ich weiß nicht, ob ich das noch mal machen würde«, lacht sie beim Pressetermin zur Übergabe im großen Rathaus-Sitzungssaal. Immerhin ist sie die Fachfrau für so was, betreut sie als studierte Historikerin doch hauptberuflich ein großes Unternehmensarchiv.

Auslöser, das Archiv in sichere Hände zu geben, war ein Gedok-Jubiläum. Zum 70-jährigen Bestehen 2021 wollten Krämer und ihre Mitstreiterinnen die Geschichte der Organisation in einer Festschrift aufarbeiten. Dafür mussten die Dokumente aber erst einmal zusammengetragen und sortiert werden.

Gründung bereits 1950

Das Problem: Die Gedok verfügt über keine eigene Geschäftsstelle. Weshalb ihre Dokumente bisher verstreut bei verschiedenen Mitgliedern lagen: Protokolle, Rundbriefe, Plakate, Einladungen, Zeitungsausschnitte und mehr. Krämer und Fastnacht starteten also einen Rundruf, um all das verstreute Kulturgut einzusammeln. So mancher Ordner kam so zum Vorschein. Und manche Überraschung ans Licht. So stellte sich heraus, dass der komplette Nachlass der Reutlinger Gedok-Gründerin Leni Matthaei noch bei ihrer Nichte im Keller lagerte. Es stellte sich auch heraus – etwa durch Tagebucheintragungen Matthaeis –, dass die Gedok Reutlingen nicht wie gedacht 1951, sondern bereits 1950 gegründet worden war. »Eigentlich hätten wir schon ein Jahr früher feiern müssen«, stellte Krämer fest.

Dass die Dokumente bisher jeweils notgedrungen bei Gedok-Mitgliedern lagerten, hat auch die schmerzhafteste Lücke im Gedok-Archiv verursacht. Beim Umzug der ersten, langjährigen Schriftführerin 1980 ins Seniorenheim landeten ihre Unterlagen auf dem Müll. Für die ersten 30 Jahre Gedok-Geschichte existieren daher keine Protokolle mehr.

Um diesen frühen Teil der Reutlinger Gedok-Historie zumindest ansatzweise zu beleuchten, wühlte sich Kathrin Fastnacht per Stichwortsuche durch alte GEA-Ausgaben. Die entsprechenden Ausschnitte füllen allein einen Ordner und bringen etwas Licht in die frühen Gedok-Aktivitäten. Die Gedok steht in der Sicht von Kulturamtsleiterin Anke Bächtiger stellvertretend für die große Emanzipationsbewegung im 20. Jahrhundert. 1926 hatte Ida Dehmel den Verband in Blankenese bei Hamburg gegründet, nachdem sie sich zuvor bereits für das Frauenwahlrecht eingesetzt hatte. Als Jüdin wurde sie von den Nationalsozialisten in den 1930er-Jahren mehr und mehr entrechtet. 1942 nahm sie sich angesichts ihrer bevorstehenden Deportation das Leben.

Zäsur durch NS-Zeit

Der Nationalsozialismus unterdrückte die Gedok-Aktivitäten. Erst nach dem Krieg blühte der Verband wieder auf. Und bekam 1950 endlich auch einen Ableger in Reutlingen. Bächtiger betonte die moderne Konzeption des Verbands mit seiner interdisziplinären Ausrichtung: Fachbereiche für Musik, Kunst, Kunsthandwerk, Tanz und Literatur ergänzten und unterstützten sich von Beginn an.

In vielen Sparten aktiv ist die Gedok bis heute. Wobei die Corona-Pandemie einige Aktivitäten ausbremste. So war die große Jubiläums-Schau 2021 im Kunstverein nur zehn Tage zugänglich, bis der nächste Lockdown kam.

Für die dieses Jahr geplanten Aktivitäten sieht es besser aus: Im Juni soll es einen James-Joyce-Abend im Spitalhofsaal geben, ab 3. Juli eine Ausstellung im Kloster Bebenhausen. Erfreulich die Mitgliederentwicklung: Allein seit Krämers Amtsantritt kamen 20 Künstlerinnen dazu, insgesamt sind es knapp 90. (GEA)