TÜBINGEN. Anlässlich des Deutsch-Französischen Tages war die Compagnie Thais aus Paris zu Gast im Institut Culturel Franco-Allemand Tübingen (ICFA). Die Gruppe besteht aus sechs jungen Tänzern aus Frankreich und Deutschland. Der Deutsch-Französische Tag war am 22. Januar diesen Jahres zum 20. Mal gefeiert worden. Pauline Bolac, Mitarbeiterin im ICFA, begrüßte das Publikum und freute sich, dass es zum ersten Mal eine solche Tanzdarbietung gab.
Einen Tag zuvor hatte die Gruppe einen Workshop mit Schülerinnen und Schülern des Kepler-Gymnasiums Tübingen gegeben. In diesem stellten sie eine Choreografie vor und tanzten gemeinsam mit den Schülern eine mit diesen entwickelte Choreografie.
Neues Programm
Mit ihrem Programm »Premier Jour« (Erster Tag) präsentierte die Compagnie Thais ihre zweite selbst gestaltete Choreografie. Inspiration und Vorbild für die seit eineinhalb Jahren bestehende Gruppe ist der US-Choreograf William Forsythe, der von 1984- 2004 Ballettdirektor in Frankfurt war. Die Dauer der Tanzerfahrung innerhalb der Gruppe ist unterschiedlich. Manch einer hat schon vor über zehn Jahren angefangen zu tanzen, manch einer gerade mal vor gut einem Jahr. Die Gruppe erstellt ihre Choreografien gemeinsam und versucht, die Ideen aller Mitglieder zu berücksichtigen. Eigentlich wären sie zu sechst angereist, doch ein Tänzer musste krankheitsbedingt in Paris bleiben.
Zu Beginn erläuterte einer der Tänzer, dass sich die Gruppe mit dem Klimawandel auseinandergesetzt habe. Ziel sei es gewesen, in der Performance sowohl objektiv den Klimawandel einfließen zulassen als auch die subjektiven Erfahrungen der Tänzer mit diesem Thema.
Neu kreierte Welt
Eve Thine, Linus Hartmann, Theodore Mathis, Matteo Damond und Theobald von Malsen ließen das Publikum in eine neu kreierte Welt eintauchen. Die Gruppe tanzt modernen Tanz - und das sehr ausdrucksstark. Sie tragen keine Kostüme, sondern bequeme Alltagskleidung - womit verdeutlicht wird, dass der Klimawandel im Alltag vieler Menschen angekommen ist.
Die Tänzer tanzen in unterschiedlichen Besetzungen, mal sind es nur drei, dann alle gemeinsam. Das Werk ist geprägt von vielen verschiedenen Bewegungsformen, viele davon auch am Boden getanzt. Häufig schien sich jeder der Tänzer einzeln zu bewegen, jeder vollführte ähnliche Bewegungen, aber nicht synchron. Für den Zuschauer erschien es, als ob einige versuchten, den anderen zu imitieren, ohne ihn jedoch zu spiegeln.
Anspannung und Gelassenheit
Die Szenen wechseln sich ab wie ein Kreislauf. Anspannung und Angst stehen Gelassenheit und Freude gegenüber. Die erste Szene beginnt ernst. Zwei Tänzer stehen an der Wand und haben den Blick starr geradeaus gerichtet. Zwei andere tanzen am Boden, strecken sich nach oben und scheinen mit den Händen nach irgendetwas greifen zu wollen, was sie jedoch nicht erreichen können.
In einer anderen Szene verstummt die Musik. Nur zwei Tänzer sind auf der Bühne zu sehen. Einer kreist mit seinem Bein, während ein anderer erst zuschaut und es ihm schließlich gleichtut. Es sieht aus, als würden sie mit den Füßen im Sand kreisend versuchen, der Realität zu entfliehen und sich in eine Fantasiewelt zu träumen.
Roboterhafte Armbewegungen
In einer weiteren Szene stehen die Tänzer in zwei Reihen, dem Publikum den Rücken zukehrend. Sie beugen sich vor und kommen langsam wieder nach oben, lassen die Arme langsam nach unten gleiten. Sie bewegen sie dann, als würden sie durch einen luftleeren Raum gleiten. Anschließend bewegen sie ihre Arme zunächst roboterhaft, dann mit den Händen in schnellen Vorwärts- und Rückwärtsbewegungen, sodass sie aussehen, als würden sie zittern. Dabei läuft elektronische, Science-Fiction-artige Musik. Dadurch entsteht, auch durch die erstaunten Blicke der Tänzer, ein Gefühl der Ohnmacht. Als hätten sie etwas Unheilvolles gesehen, bewegen sie hektisch die Arme.
Zwischen diesen eindringlichen Passagen gab es auch Teile, in denen schnelle Tanzbewegungen überwiegen. Es sieht nach ausgelassener Stimmung aus. Mal sind es individuelle Bewegungen, bei denen jeder Tänzer seinen eigenen Rhythmus findet, mal sind es synchrone Bewegungen, in denen es aussieht, als würden die Tänzer marschieren, die das Publikum in den Bann ziehen. Im letzten Teil verlassen die Tänzer nacheinander die Auftrittsfläche, bis nur noch Eve Thine allein tanzt und sie die Aufführung mit immer langsamer werdenden Bewegungen beendet.
Gesellschaftliche Herausforderung
Jeder Zuschauer war dazu eingeladen, selbst seiner Fantasie freien Lauf zulassen und die Bilder und Bewegungen auf sich wirken zu lassen. Letztendlich stehen wir als Gesellschaft dem Klimawandel gemeinsam gegenüber. Die Auswirkungen sind für alle sichtbar. Die Frage ist nur, wie geht die Gesellschaft, wie geht jeder einzelne mit der Situation um. Das Publikum im ausverkauften Saal spendete großen Applaus und freute sich mit den jungen Künstlern nach dem Auftritt. (GEA)