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Aktuell Ausstellung

Klaus Herzer mit »Grenzerfahrungen« im Öschinger Holzschnitt-Museum

Um Grenzen wird gestritten, über Grenzen wird geflohen: Mit seiner Ausstellung »Grenzerfahrungen« packt Klaus Herzer im Holzschnitt-Museum in Öschingen ein heißes Eisen an. Die Darstellungen rütteln auf.

Verlorene Gestalten im Niemandsland am Stacheldraht: Holzschnitt von Klaus Herzer in seiner Ausstellung »Grenzerfahrungen« in Ös
Verlorene Gestalten im Niemandsland am Stacheldraht: Holzschnitt von Klaus Herzer in seiner Ausstellung »Grenzerfahrungen« in Öschingen. Foto: Hermann Pfeiffer
Verlorene Gestalten im Niemandsland am Stacheldraht: Holzschnitt von Klaus Herzer in seiner Ausstellung »Grenzerfahrungen« in Öschingen.
Foto: Hermann Pfeiffer

MÖSSINGEN-ÖSCHINGEN. Klaus Herzer packt auch mit 91 Jahren die brisanten Themen an. »Grenzerfahrungen« heißt seine neue Ausstellung im Holzschnitt-Museum in Öschingen. Um Grenzen wird gekämpft, an Grenzen wird getötet, über Grenzen versuchen Flüchtende sich zu retten. Grenzen öffnen sich aber auch zuweilen, sind im besten Fall Orte der Begegnung. All das spiegelt sich aufrüttelnd in Herzers Grafiken. Die Gesundheit setzte ihm indes selbst Grenzen: Zum ersten Mal konnte er an der Eröffnung einer eigenen Ausstellung nicht dabei sein.

Die Schau »Grenzerfahrungen« zeigt eine Auswahl von Holzschnitten und Metalldrucken Herzers. Eine Rückschau bis in die 1980er- und 90er-Jahre. Es geht um Themen wie Kriegsleid, Umweltzerstörung, Atomkraft. Einen Blick für gesellschaftliche Probleme hatte Herzer immer, in dieser Zuspitzung ist die Thematik für das Museum ungewöhnlich.

Xylon-Schau zur Maueröffnung

In der aktuellen Ausstellung nehmen die Holzschnitte »Im Roten Kreuz«(1994) und »Begegnung an der Grenze« (1987) einen wichtigen Platz ein. Letzteres war der Beitrag Herzers für eine Ausstellung des Holzschnitt-Künstler-Verbands Xylon zur Mauereröffnung in Berlin. Einen Querverweis zu Xylon vermittelt das Exponat »Verletzt« (1995). Unendliches Leid. Wenige lineare Schnitte durchqueren das in Schwarz-weiß modellierte Gesicht, ummantelt von leuchtendem Violett. Ein Motiv voller Anklage. Zeitgleich diente diese Darstellung als Umschlagmotiv für die 20-seitige Zeitschrift »Xylon« der Künstlervereinigung. Die Nr. 96 dieser Publikation ist Klaus Herzer gewidmet.

Die Grenzen ihres Heimatdorfes verloren 1938/39 die Bewohner von Gruorn bei Münsingen; das Dorf musste dem Truppenübungsplatz weichen. »Wohin?«, fragt Herzer mit einem Bild von 1991. »Wohin«, fragten sich auch die über 600 Bewohner des Dorfes. Geblieben ist nach dem Krieg das Pfingsttreffen in der wieder aufgebauten Stephanuskirche. Die gedrungene, zerfurchte Häusergruppe im Herzer'schen Niemandsland auf Naturpapier mutet als Vergleich an.

Man ahnt Todesgefahr

Das Blatt »Begegnung an der Grenze« zeigt vier Personen. Das Paar in der Mitte voller Trauer, in sich gekehrt, kein Ausweg in Sicht. Todesgefahr auf der einen Seite, auf der anderen Tröstung, Erlösung. Zur Technik ist anzumerken: Die braun gedruckte Grundplatte mit starker Maserung macht den Auftakt, dem der fast schwarz gehaltene Figurenschnitt folgt. Nach dem Trocknungsprozess nutzt der Holzschneider die weiß changierend eingefärbte Platte erneut, wenige Millimeter versetzt, um den Reliefcharakter zu betonen.

Herzer geht es in seinen Bildern weniger um feste Antworten, sondern, wie er sagt, darum, zum Denken anzuregen. Drei kleine Metalldrucke weisen auf Umweltzerstörung hin: »Im Fluss« (2015) auf Starkregen, Hochwasser, steigender Wasserspiegel, im Gitternetz notierbar. Ganz ähnlich »Sommer«: Kaum ertragbare Hitze, die Sonne mit doppelten Kreisringen als Bedrohung über der ausgemergelten Landschaft. Der Abschluss des Trios: »Zerfall«. Ein Tohuwabohu sondergleichen. Durcheinander gewürfelte Einzelteile sind kaum zu entziffern. Herzer als Mahner in grafischer Manier.

Ausstellungsinfo

Die Ausstellung »Grenzerfahrungen« im Holzschnitt-Museum Klaus Herzer, Obergasse 1 in Mössingen-Öschingen, mit Arbeiten von Klaus Herzer ist bis September 2024 zu sehen. Geöffnet ist sonntags von 14 bis 17 Uhr und auf Anfrage. Von Mitte Dezember bis Mitte Januar ist Winterpause. (GEA)
www.holzschnittmuseum.de

Umwelt-Mahnungen gibt es viele in der Ausstellung. Da sind Titel wie »Die Lichter sind aus« (1979), »Komet von Tschernobyl« (1986), jeweils auf die Atomkraft gemünzt. Oder »Spitze Wolke« (1987), »Karstberg« (1988), »Trümmer-Stätte«1992) - auch da steht die Umwelt im Blickpunkt. Am Treppenabsatz des Entrees heißt das große Bild »Nach der Flut« (1986). Mit dem Messer in der Faust wirbelt der Künstler über den Druckstock, als wolle er dem Elend den Garaus machen.

Ein Stockwerk höher, wo Herzer die Spielarten des Hochdrucks demonstriert, gibt es seit Oktober Neues: Florale und musikalische Motive sind zu sehen. Im Zentrum stehen die Holzschnitt-Serien »Flora« und »Jazz« von 1998. (GEA)