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Kein Abo bei Doktor Smile: »Im Office« am Tübinger Zimmertheater

Das Zimmertheater Tübingen beginnt die Spielzeit mit einer bitterbösen Groteske: Elisabeth Pape lässt in ihrem Stück »Im Office« optimierte Büromenschen auflaufen. Das geht nicht lange gut.

Da lacht sie noch, die Arbeitswelt der Zukunft: Cyril Hilfiker, Johanna Engel, Julian Lehr.
Da lacht sie noch, die Arbeitswelt der Zukunft: Cyril Hilfiker, Johanna Engel, Julian Lehr. Foto: Alexander Gonschior
Da lacht sie noch, die Arbeitswelt der Zukunft: Cyril Hilfiker, Johanna Engel, Julian Lehr.
Foto: Alexander Gonschior

TÜBINGEN. Ein Blick in dieses Büro genügt: Da sitzen Chelsea, Rudi und Pey an ihren Tischen, ergonomisch mit integriertem Laufband, einem Gymnastikball als Stuhlalternative, an Tischen, Laptops, die mit rosa Plüsch bezogen sind. Sie tragen bunte Kleidung, Glitzerperücken in Blau, Grün und Pink, sie strahlen die Überzeugungskraft eines erfolgreichen Teams aus. Sie verdienen gut, stammen aus betuchtem Hause oder tun so. Sie haben die perfekte Work-Life-Balance, was heißt, dass ihr Leben aus Arbeit besteht; ihre Hände liegen rasselnd auf den Tastaturen. Es ist der reine Schrecken, ein arrivierter Indoor-Arbeitsplatz der nahen Zukunft oder eine Spiegelung des bereits Gegebenen in der Bubblegum-Horror-Fantasie der Autorin Elisabeth Pape. Es wirkt so vertraut, dass man kaum darüber lachen kann, ohne dass sich eine Gänsehaut einstellt.

»Im Office« heißt Papes Stück, das nun am Zimmertheater uraufgeführt wurde. Die Autorin, geboren 1995, schickte die Zuschauer 2023 mit ihrem Stück »Extra Zero« am Staatstheater Augsburg in eine Klinik für Essgestörte und erhielt dafür den Kleist-Förderpreis. In ihrem neuen Stück führt sie an einen anderen höchst normativen Ort und sorgt für Unruhe.

Die mit der Thermoskanne

Denn dort, im Office, tritt eine neue Kollegin (Jel Woschni) an, die Schwarz, nicht Bunt trägt, öfter mal ernst schaut, sich hochgearbeitet hat, immer eine Thermoskanne dabei hat. Deshalb wird sie im Büro fortan Isi genannt, kurz für Isolierkanne, denn »die Dogge«, die geschäftsführende Eminenz, wünscht, die Angestellten möchten sich bei der Arbeit nur mit Spitznamen anreden – um ihre Existenz als Privatpersonen auszulöschen?

Isi jedenfalls ist vielleicht eine investigative Journalistin, vielleicht auch eine Streberin, die das Office nur benutzen möchte, um noch weiter aufzusteigen. Sie schließt sich im Office-Bad ein, um dort Briefe an superreiche Menschen zu verfassen, ihnen lebenslange Gefolgschaft zu bieten. Die Briefe werden freilich nicht beantwortet. Zuletzt zeigt sich Isis wahre Absicht. Die gerade noch so klebrig-bunte Bürogemeinschaft zerbricht, und Isi macht sich auf, um das nächste Office zu unterwandern.

Zähne und Energiebalance

»Im Office« ist ein Stück mit denkbar einfacher Handlung. Hier geht es um die Zeichnung von Figuren, ihren Lügen, Eitelkeiten, Marotten. Die gelingt famos in der Kulisse von Raissa Kankelfitz, unter der Regie von Isabella Sedlak. Da gibt es Office-Talk, der in blasierter Süffisanz von Szene zu Szene wiederkehrt, Wellnessratschläge (»Mein Energietherapeut Sean hat mir ans Herz gelegt, auf Balance zu achten.«), die kleinen Angebereien, die kleinen Bosheiten, das große Klassenbewusstsein, den optimierten Optimismus. Ein Abo bei Dr. Smile haben sie alle; er bleicht ihnen regelmäßig die Zähne. Denn Zähne sind wichtig.

»Wir suchen dich«, trägt Pey den Text einer Stellenanzeige vor, die das Büro geschaltet hat. »Du bist in Armut aufgewachsen, warst ein Hartz-IV-Kind, hast dich raufgekämpft und studiert? Dann bewirb dich doch bei uns. Zehn Prozent zum Top-Gehalt gibt’s für dich obendrauf.« Prompt wird Rudi neidisch, der einen ganz ähnlichen Hintergrund verheimlicht. Julian Lehr gibt ihm einen leicht gequälten, trockenen, urkomischen Gesichtsausdruck, während Cyril Hilfiker als reiches Söhnchen durch die Szene schlendert und Johanna Engel immerwährende Euphorie verstrahlt. Nur der Ausdruck von Jel Woschni wandelt sich – von seliger Wohlstandsverehrung zu finsterer Entschlossenheit.

Boshaft und lustig

»Im Office« ist ein boshaftes Stück - und sehr lustig. Es wird Bürobelegschaften zum gemeinsamen Besuch empfohlen. Sie können hier lernen, wie in der Zukunft gemobbt wird: Man stiehlt dem Kollegen die Fernbedienung des Laufrades, auf dem dieses arme bunte Arbeitstier strampeln muss, und bringt ihn an seinem Laptop kräftig zum Schwitzen. (GEA)