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»Ich will euch mitsingen«

STUTTGART. Schlechte Nachrichten für alle, die dieses Jahr noch was vorhaben: Das Konzert des Jahres haben sie wohl schon verpasst. Es war am Samstagabend im unfassbar stickigen kleinen Stuttgarter Club Zentral. Wallis Bird und ihre Band lieferten eine Bühnenshow ab, die ebenso hoch emotional war wie verschwenderisch musikalisch. Ausverkauft war sie übrigens auch.

Die Irin Wallis Bird.
Die Irin Wallis Bird.
Die Irin Wallis Bird.
Wallis wer? Ein Geheimtipp ist sie nicht mehr, dafür tourt die mittlerweile 30-jährige Irin schon zu lange durch die Welt. 2009 erhielt sie in ihrer Heimat die Newcomer-Trophäe beim nationalen Musik-Award »Meteor« und wurde 2010 beste Sängerin. In Frankreich feiert man sie ebenfalls. In Deutschland zieht sich der Durchbruch ein wenig hin, obwohl die Songwriterin schon seit etlichen Jahren auf kleineren Bühnen präsent ist. Sie hat an der Pop-Akademie in Mannheim studiert und beim Jammen die Brüder Christian und Michael Vinne kennengelernt, bis heute Drummer und Bassist ihrer Band. Wer Freunden das neue Album »Wallis Bird« vorspielt, ihr drittes, kriegt wahrscheinlich ein Lob für den schönen selbstgebrannten Mix. Irrtum. Fräulein Bird hört sich einfach nur in jedem Song anders und wie neu an, und das ist auf der Bühne nicht anders. Sie ist eine musikalische Naturgewalt. Zu gut, um nur ein Ding zu machen. Sie zupft die akustische Gitarre und flüstert dazu, lässt ihre schöne Stimme brechen an Texten, die einen schaudern lassen oder lächeln, über Liebe, Erinnerungen und Selbstmordgedanken. Dann drischt sie wieder in die Saiten der E-Gitarre, headbangend ihre nassen Strähnen schüttelnd, als inbrünstige Rockröhre in bester Tradition von Janis Joplin oder auch der jungen Melissa Etheridge. In so einem Bird-Song stecken mehr musikalische Ideen als bei anderen Leuten auf ganzen Alben. Der Melodiengott hat es gut mit ihr gemeint und ihr Wendungen geschenkt, die überraschend, aber vertraut sind, sich festsetzen und bleiben. Stilrichtungen sind für sie wie ein großer Malkasten, an dem sie sich großzügig bedient. All das macht ihre CDs hörenswert. Die Konzerte sind nochmal was ganz anderes. Nur wenige Künstler bringen neben so viel Talent noch die Gabe mit, dermaßen Energie zu versprühen, Lebensfreude zu wecken, mitzureißen: »Ich möchte euch singen, also mitsingen!« Von ihrem ungewöhnlichen Schicksal spürt man nichts, das liest man nur im Internet: Bei einem Unfall verlor sie als einjähriges Kind alle Finger der linken Hand. Vier konnten wieder angenäht werden – heute spielt sie eine Rechtshänder-Gitarre, die sie seitenverkehrt hält und nach einem selbst entwickelten, einzigartigen System die Akkorde greift. Wenige Menschen sind so sehr eins mit ihrem Instrument. Wobei sie daran nicht festgewachsen ist: Drummer Christian Vinne rappt und scattet und kann mit seinem Mund mühelos Drumcomputer plus Jukebox ersetzen. Ihm überlässt sie das Mikro für eine faszinierende Session und setzt sich selbst an sein Schlagzeug, als hätte sie nie was anderes getan. Ein Wallis-Bird-Konzert macht glücklich. Vermutlich kommt das daher, dass die 1,60 Meter kleine Sängerin selbst so viel gibt. In einem Interview erklärte sie neulich, dass sie in einem Konzert gezielt versucht, so viel wie möglich herauszuholen. »Die Leute sollen etwas tun, was sie sonst nicht tun würden. Lebt, schreit, tanzt ein wenig, was auch immer!« Und so lebt, wirbelt, schreit und tanzt sie allen was vor, und die Menschen im Publikum leben und singen mit ihr. (GEA)