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»Hommage à la France« und Laurenz-Theinert-Schau im Museum Ritter in Waldenbuch

Mit einem spannenden Doppelpack geht das Museum Ritter in Waldenbuch in den Sommer. Bis zum 15. September sind dort die Ausstellungen »Hommage à la France. Werke aus der Sammlung Marli Hoppe-Ritter« und »Laurenz Theinert. Fehlende Dunkelheit« zu sehen.

Laurenz Theinert: »Farblichtraum« (2015/24).
Laurenz Theinert: »Farblichtraum« (2015/24). Foto: Christoph B. Ströhle
Laurenz Theinert: »Farblichtraum« (2015/24).
Foto: Christoph B. Ströhle

WALDENBUCH. Hier eine Präsentation, die mit Arbeiten aus der Sammlung Marli Hoppe-Ritter die Geschichte der konkreten Kunst in Frankreich Revue passieren lässt, dort eine Schau, die einen Einblick in Laurenz Theinerts Œu­v­re gibt, das Licht-Klang-Performances, Lichtkunst und fotografische Arbeiten umfasst: Was das Museum Ritter in Waldenbuch für den Sommer auffährt, ist spektakulär - und bis zum 15. September zu sehen.

»Fehlende Dunkelheit« ist die Ausstellung im Erdgeschoss mit Theinerts Werken überschrieben. Sie zeigt, dass die sichtbare Welt für den 1963 in Hannover geborenen, in Stuttgart lebenden Künstler nur der Ausgangspunkt ist, um mit den Mitteln der Fotografie das Medium selbst und raumzeitliche Prozesse zu untersuchen.

36 Ansichten eines Motivs

Etwa den Perspektivwechsel, wie in »Lehmden 1994/1«. Nichts deutet mehr auf das scheibenlose Fenster einer alten Scheune im niedersächsischen Dörfchen Lehmden hin, das Theinert fotografiert hat. 36 Bilder mit 36 Ansichten desselben Motivs, von verschiedenen Standpunkten aus aufgenommen, bilden das Werk aus dem Jahr 1994. Man sieht 36 schwarze Trapezformen, alle unterschiedlich groß und unterschiedlich verzerrt, die vor der weißen Museumswand angeordnet sind und zusammengenommen ein annähernd quadratisches Stück Wandfläche bedecken.

Theinert ging es um den dunklen Leerraum im Rahmen des scheibenlosen kleinen Fensters. Alles um das schwarze Fensterloch herum, alle Anhaltspunkte, die das Erkennen, Verorten und Deuten hätten ermöglichen können, hat er weggeschnitten, sodass nur noch dunkle viereckige Formen übrigblieben. »Ich glaube, wenn man in der Lage ist, mehrere Standpunkte gleichzeitig einzunehmen, kann man einen größeren Zusammenhang erkennen«, sagt Theinert, der Zweifel anklingen lässt, ob es überhaupt, den einen »richtigen« Standpunkt gibt.

Prozesse zwischen Sehen und Deuten

Julia Otto weist im Ausstellungskatalog darauf hin, dass Theinert die Verteilung und Gewichtung der Details in »Lehmden 1994/1« so gewählt hat, »dass sich unsere Wahrnehmung nicht genau fixieren lässt«. Diese schwinge vielmehr »zwischen der Aufmerksamkeit für das Einzelelement und dem Blick auf das Ganze hin und her«. Dadurch träten neben dem eigentlich Sichtbaren »auch die Prozesse, die zwischen Sehen und Deuten ablaufen, ins Bewusstsein und werden zum Gegenstand von Beobachtung«.

Auch in seiner Serie »Randerscheinungen« kehrt Theinert den konventionellen Blick des Fotografen um. Nicht das Motiv im Zentrum - Briefkasten, Schild oder Laternenpfahl - macht er zum Bildthema, sondern die Peripherie des Motivs am Bildrand. Er verweist damit auf das Phänomen des peripheren Sehens, das für die Wahrnehmung von Bewegungen und für das Sehen in Dämmerlicht oder Dunkelheit wichtig ist - »immer dann«, so Julia Otto, »wenn wir etwas mit den Augen nicht genau zu fassen kriegen«.

Psychedelisch-fröhliche Farben im Grau

Bemerkenswert auch Theinerts »Farbreste«. An einem Tag in Luzern fotografierte Theinert, seiner bedrückenden Seelenlage entsprechend, graue Flächen und Objekte, die er später im Hotelzimmer mit einem Bildbearbeitungsprogramm umkrempelte. Etwa, indem er die Bilder unscharf machte, bis kein Gegenstand mehr erkennbar war, nur noch Schattierungen von Grau: Regengrau, Wolkengrau, Betongrau. Als Theinert am Schieberegler für die Farbsättigung herumspielte, stellte er überrascht und fasziniert fest, dass das im Grau plötzlich psychedelisch-fröhliche Farben und Formen zauberte - die jetzt, auf Leinwand gedruckt, im Museum Ritter zu sehen sind.

Ein begehbarer »Farblichtraum« lädt in der Ausstellung ein, sich selbst als Wahrnehmenden zu erleben. Die Wände sind mit vertikalen Farbstreifen überzogen, wobei sich in der Farbabfolge die drei Grundfarben der subtraktiven Farbmischung – Cyan, Gelb, Magenta – mit denen der additiven Farbmischung – Rot, Grün, Blau - abwechseln. Eine LED-Leuchte, die sehr langsam durch das Rot-Gelb-Blau-Spektrum geht, erhellt den Raum. So trifft immer eine bestimmte Lichtfarbe auf die Streifen. Und da die Farbwahrnehmung grundsätzlich immer auf dem Zusammenspiel zwischen der Farbigkeit einer Oberfläche und der Farbe des Lichts beruht, verändert sich die Farbwirkung der Streifen und es entsteht der Eindruck von Bewegung.

Ausstellungsinfo

Die Ausstellungen »Hommage à la France. Werke aus der Sammlung Marli Hoppe-Ritter« und »Laurenz Theinert. Fehlende Dunkelheit« sind bis zum 15. September im Museum Ritter, Alfred-Ritter-Straße 27 in Waldenbuch, zu sehen. Geöffnet ist Dienstag bis Sonntag von 11 bis 18 Uhr. Der Katalog zur Laurenz-Theinert-Schau ist im Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg erschienen. Ein Künstlergespräch mit Kurzvortrag von Theinert ist am 14. Juli um 11.30 Uhr. Am 8. September um 21 Uhr bespielt der Künstler mit seinem Visual Piano die Museumspassage mit grafischen Lichtstrukturen zu Elektronik- und Cello-Musik von Fried Dähn. (GEA)

www.museum-ritter.de

In der Ausstellung »Hommage à la France. Werke aus der Sammlung Marli Hoppe-Ritter« im Obergeschoss des nach einem Entwurf des Schweizer Architekten Max Dudler erbauten, im Herbst 2005 eröffneten Hauses begegnen einem beispielsweise Werke Victor Vasarelys (1906 -1997), in denen man erleben kann, wie der Vater der Op-Art mit modularen Elementen die Bildfläche in scheinbare Schwingung versetzt. Oder man erfährt, wie François Morellet (1926-2016) den Zufallsgenerator einsetzt, um ein Bild mit flirrender Wirkung zu erzeugen. Generell sieht man Bild-Objekte, deren Farben, Formen und Strukturen sich im Dialog mit der Betrachterbewegung verwandeln. Und man kann für sich erschließen, wie die radikale Reduktion von Farbe und Form in Anlehnung an De Stijl und das Bauhaus bis heute zu neuen Gestaltungsformen anregt. Gezeigt werden unter anderem Arbeiten von Bernard Aubertin, Leo Breuer, Gottfried Honegger, René Guiffrey, Jean Leppien, Vera Molnar, Aurélie Nemours und Jesús Rafael Soto. (GEA)