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Aktuell Oratorium

Heilsgeschichte, schlank und rank

METZINGEN. Was für eine Energieleistung dieser teils doch ziemlich jungen Musiker! Über zweieinviertel Stunden hinweg haben die Sänger der Capella vocalis und die Instrumentalisten von Pulchra Musica am Sonntagabend in der Metzinger Martinskirche den großen Bogen der Heilsgeschichte geschlagen, den Georg Friedrich Händel in seinem Oratorium »Messiah« aufzieht:

Sie leisteten am Sonntagabend wirklich Beachtliches in der Metzinger Martinskirche: Die Jungs und jungen Männer der Capella voca
Sie leisteten am Sonntagabend wirklich Beachtliches in der Metzinger Martinskirche: Die Jungs und jungen Männer der Capella vocalis bewahrten in Händels Marathon-Oratorium »Messiah« bis zum Schluss die Spannung. Foto: Armin Knauer
Sie leisteten am Sonntagabend wirklich Beachtliches in der Metzinger Martinskirche: Die Jungs und jungen Männer der Capella vocalis bewahrten in Händels Marathon-Oratorium »Messiah« bis zum Schluss die Spannung.
Foto: Armin Knauer
von den Prophezeiungen des Alten Testaments über die Geburt Jesu bis hin zu Tod und Auferstehung. Alles gipfelnd in einem »Halleluja«, das mit jugendlicher Frische und Begeisterung im Raum stand, hell, froh und funkelnd. Und in das in der Zugabe die Zuhörerschaft mit einstimmen durfte – so wie das bei Aufführungen in England längst Brauch ist.

Capella-vocalis-Leiter Christian Bonath stützte sich bei der Aufführung auf die Fassung der Dubliner Uraufführung am 13. April 1742. Diese sah noch keine Holzbläser vor. Das Orchester hatte Bonath mit einem solistischen Streichquintett auf historischen Instrumenten besetzt. Dazu legte der Metzinger Kantor Stephen Blaich den Continuo-Bass an der Truhenorgel. Für das prächtig strahlende »Halleluja« und den majestätischen »Amen«-Schlusschor kamen noch ein Paar historische Pauken sowie zwei ventillose Trompeten hinzu.

Solistisch besetztes Ensemble

Ein sehr kleines, durchweg solistisch besetztes Ensemble also, das die Vorzüge dieser Besetzung mit großem Elan und viel Spielfreude auszureizen wusste: die Beweglichkeit, die Schlankheit, die Durchsichtigkeit des Klangbilds. Zudem dürfte die Besetzung auch im Original recht klein gewesen sein.

Mit über sechzig Sängern sprengte die Capella vocalis naturgemäß das, was bei der Uraufführung aufgeboten war. Man hätte meinen sollen, dass auf diese Weise ein Ungleichgewicht zu dem winzigen Orchester entstand. Doch das war über weite Strecken überhaupt nicht der Fall. Und zwar deshalb nicht, weil die Knaben und jungen Männer unter der Leitung von Christian Bonath ein ausgesprochen kultiviertes, auf äußerste Durchsichtigkeit angelegtes Singen praktizierten.

Da wurde nicht einfach drauflos gepowert; vielmehr woben die Sänger über weite Strecken einen eher zarten, ganz fein schimmernden und ungemein transparenten Ton. Der dann, wenn die frohe Botschaft zu künden war, umso wirkungsvoller zu kraftvollem Jubel aufblühte – um danach gleich wieder in sanfte Innerlichkeit zurückzusinken.

Ungemein mitreißend war dabei, wie zupackend die jungen Sänger die Einsätze nahmen. Wie ausdrucksstark sie die jeweiligen Stimmungen erfassten – etwa die Beunruhigung und Aufgewühltheit bei »Er trug unser Leid«. (Gesungen wurde natürlich durchweg im englischen Original!) Wie gelöst und leuchtend und schwungvoll und doch ganz präzise die Koloraturen kamen – etwa von den Sopranen in »Uns ist ein Kind geboren«.

Das alles hatte unter dem energischen, mit großer Leidenschaft gestaltenden Dirigat von Christian Bonath enormen Schwung und große Energie. In den wuchtigen Schlusschören gingen die zahlenmäßig unterlegenen Streichen dann allerdings doch ziemlich unter. Dafür strahlten hier umso schöner die schlank und zierlich klingenden historischen Trompeten. Ein Sonderlob gebührt dabei Pavel Janecˇek für sein grazil funkelndes Duett mit Bassist Johannes Hill in der Arie »The trumpet shall sound«.

Arien voller Dramatik

Johannes Hill wiederum, in dieser Arie machtvoll jubelnd, war ansonsten der Mann für die dunkel-spannungsgeladenen Momente. Furios, wie viel Drama er in seine Stimme legt, wenn es heißt »Dunkel bedecket die Welt«. Wie er Angst und Beklemmung spüren lässt in dem unheimlich mäandernden Unisono mit dem Ensemble bei »Die Völker, die wandeln im Dunkel«. Und immer wieder Aufschwünge von enormer Kraft.

Nicht weniger lebhaft und engagiert arbeitet Tenor Klemens Mölkner die hellen, freudigen Schattierungen seiner Rezitative und Arien heraus. Die frohe Botschaft sprüht förmlich aus seiner Stimme, die im Übrigen ganz klar und deutlich geführt ist. Ein Genuss ist bei ihm auch die Textdeklamation – genau so, hat man das Gefühl, muss sich das barocke Englisch wohl auch im Original angehört haben.

Unheimlich berührend waren die Alt-Arien in der Interpretation des Chor-Eigengewächses Jan Jerlitschka. Seine erste Arie nahm er noch etwas verhalten und mit Respekt; das berühmte »Er weide seine Herde« (He shall feed His flock) ließ er dann aber ganz befreit strömen, zart, innig und beseelt – für diese Stimmungen hat er ein ganz besonderes Gespür.

Noch zwei weitere Solisten aus den eigenen Reihen bewährten sich: Til Krupop stellte seine zwei Sopran-Arien ganz frisch und unverstellt in den Raum, mit heller, unerschrockener Stimme und dabei vorbildlich präzise in der Spur. In einer kleineren Solo-Passage ließ Manuel Becker mit schöner, leuchtender und sauber geführter Sopranstimme aufhorchen. Eine Aufführung, die sich die stehenden Ovationen in der voll besetzten Kirche wahrlich verdient hat. (GEA)