Nachdem die Wesen um den Turm herum Klänge gesammelt haben, verschwinden sie im Turm und tragen ihre gesammelten Klangschätze in ihren Trichtern feierlich den Turm empor. Das Publikum, neugierig geworden, folgt in den Turm. Dort trifft es weitere Männer in Overalls, die an Synthesizern elektronische Sounds regeln, sodass der Turm zu einem großen Klangverstärker wird. Sie treffen auf einen Bassklarinettisten, der mal tief brummende, mal sirenenartig hohe Töne von sich gibt. Sie treffen einen Melodica-Spieler, der sanfte Klangschleier in das Elektrosummen gleiten lässt. Sie treffen einen Trompeter, der feierlich wie in einer Prozession die Treppen erklimmt und dazu fahl glitzernde Diskant-Töne aussendet.
Vor allem aber erleben sie, wie die Akteure in ihren gelben Overalls ihre Klangtrichter wie eine Reliquie durch den Turm tragen. Um sie ganz oben auf der Turmplattform wie eine Antenne ins Weite zu halten oder bei einem Kollegen in der Turmmitte auszutauschen.
1. Deutsches Stromorchester nennt sich die Truppe, die hier agiert, gegründet vom Trompeter Rochus Aust und komplettiert durch Heinz Friedl, Fosco Perinti, Oxana Omelchuk, Tobias Hartmann, Bosco Pohontsch und Florian Zwissler. Das Konzert unter dem Titel »Electro-Iconic Bridge« (elektro-ikonische Brücke) ist Teil einer Serie von 50 Auftritten, die gleichnamige Städte in Europa und Amerika verbindet und dabei Wegmarken der elektronischen Entwicklung würdigt. Die Performance in St. Johann schlägt eine Brücke zu St. John’s im kanadischen Neufundland. Dort hat der Italiener Guglielmo Marconi auf einer Klippe, dem »Signal Hill«, 1901 die ersten transatlantischen Funksignale empfangen. Im Juni ist das Stromorchester dort aufgetreten und hat seinerseits Klangsignale ausgesandt, die nun auf der Hohen Warte eingesammelt werden. Nun ja, eher symbolisch, da rein technisch elektromagnetische Wellen keine drei Monate lang um den Globus kreisen.
Im Grunde ist das Ganze eine Art Mischung aus Experimentalkonzert und modernem Bewegungstheater. Oder wie Rochus Aust sagte: eine »ortsspezifische Intervention«. Eine künstlerische Art von Zeremonie also, die das Sammeln von Klängen an sich zum Thema macht – und das Publikum dazu einlädt, seinerseits Klänge, Atmosphäre, optische Eindrücke aufzunehmen. Sind wir als Publikum nicht alle irgendwie Klangsammler, Eindrucks-Sammler, Erlebnis-Sammler? Nur eben selten in gelben Overalls.
Eingeladen zu dem Konzert hatte das Kunstforum St. Johann in Kooperation mit der Hermann-Haake-Stiftung und dem Schwäbischen Albverein. (GEA)