TÜBINGEN. »Das Pfund, mit dem sie wucherte, war ihr überaus wacher Geist«, sagte Barbara Krämer, die Vorsitzende der Künstlerinnen- und Kunstförderer-Gemeinschaft Gedok Reutlingen, über Gertrude Stein, die vor 150 Jahren in Allegheny West in Pittsburgh, Pennsylvania geboren wurde und 1946 in Neuilly-sur-Seine bei Paris starb.
Bei der Vernissage einer Ausstellung unter dem Titel »Life is a comma - Hommage an Gertrude Stein zum 150. Geburtstag« in der Loretto-Galerie der Volkshochschule Tübingen würdigte Krämer die amerikanische Schriftstellerin, Verlegerin und Kunstsammlerin als »Pionierin des weiblichen Selbstverständnisses«. Sie habe ein »intensives Leben als Mäzenin und Diva« geführt, Pablo Picasso angeblich über 90 Mal Porträt gesessen. Ihr Pariser Salon habe sich zum ersten Museum für moderne Kunst entwickelt, zitierte Krämer die New York Times. Ernest Hemingway soll über die Frau, die kinderlos war und mit einer Frau zusammenlebte, gesagt haben: »Sie war eine solche Persönlichkeit, dass ihr niemand widerstehen konnte.«

Der von Rhythmisierung und ständigen Wortwiederholungen geprägte Schreibstil der Poetin und Autorin Gertrude Stein, an Musikstücke erinnernd, habe, so Krämer, »so ziemlich alle grammatikalischen Normen ignoriert«. Nach eigenem Bekunden hat die Autorin damit nicht zuletzt den Kubismus der abstrakten Malerei in die Literatur übersetzen wollen.
Die Hommage ist ein spartenübergreifendes Projekt geworden, wie es zur Gedok passe, so Krämer. Auch eine Klang-Text Performance des Klangkünstlers Andreas Konitzer und der Komponistin Karin Naumann mit den Performerinnen Stefanie Knorr und Annette Koppenburg war Bestandteil der gut besuchten Ausstellungseröffnung. Die Ausführenden verwendeten darin Ausschnitte aus fünf Texten Steins, wie Erika Christine Baumann vorab erläuterte. Diese Textfragmente wurden in einem experimentellen künstlerischen Prozess in eine faszinierende rhythmische und tonale Beziehung gebracht und durch drei weibliche Stimmen, Synthesizer, Sampler, Aerophon und Effektgeräte zum Leben erweckt. Eine vielschichtige Klanglandschaft entstand so, ein komplexes Geflecht aus Klang und Bedeutung. Oder wie Erika Christine Baumann es formulierte: »Eine hypnotische und transformative Erfahrung, die die Sinne anspricht und die Vorstellungskraft anregt.«
Wirkungsmächtige Wiederholungen
20 bildende Künstlerinnen zeigen auf zwei Stockwerken ihre Positionen. Auseinandersetzungen mit Leben und Werk Gertrude Steins. Wobei sie immer wieder ihren bekanntesten Satz »Rose is a rose is a rose« (»Rose ist eine Rose ist eine Rose«), geschrieben 1913 als Teil des Gedichts »Sacred Emily« und später in anderen Werken variiert, aufgreifen. Dass Dinge wiederholt würden, sei bei diesen Arbeiten - wie bei Stein - »nicht eintönig, sondern wirkungsmächtig«, sagte Einführungsrednerin Katharina Luther.
Elke Mauz zeigt zum Beispiel drei Rahmen aus Keramik. Im ersten sind braun gewordene Rosenblütenblätter eng hintereinander auf Fäden aufgezogen. Im zweiten erkennt man in Reihen von überwiegend grünen Blättern des Rosenstocks einen variierten Rhythmus. Im dritten sind getrocknete Rosenstängel zu einem sich horizontal wiederholenden Muster aufgezogen. Natürliche Krümmungen und Verfärbungen des organischen Materials lassen einen Steins Satz »Rose is a rose is a rose« so deuten, dass klare und einfache Begrifflichkeiten uns zwar helfen, Dinge zu benennen, dass deren Erscheinungsformen aber gleichwohl mannigfaltig bleiben.
Von Kathrin Fastnacht stammt die Serie »Ein Mensch ist ein Mensch«. Ausgehend von Fotografien, die Menschen verschiedenen Alters und unterschiedlicher Herkunft zeigen, hat sie Papierlithografien erstellt, bei denen der Satz »Ein Mensch ist ein Mensch ist ein Mensch« den Porträtierten, die einen mal ansehen, mal zur Seite blicken, buchstäblich ins Gesicht geschrieben ist. Dutzendfach wiederholt. »Angesichts der allgemeinen politischen Situation finde ich, dass zu oft vergessen wird, dass wir alle gleichberechtigte Menschen sind«, merkt Fastnacht dazu an. Ihre Arbeit solle ein Aufruf sein, sich dessen wieder bewusst zu werden.
Wie die Blätter einer Rose wölben sich die Kragen verschiedenfarbiger, übereinandergelegter Hemden, wie man sie normalerweise am Körper trägt, zu einer Blüte. Elke Pikkemaat hat sie wie ein Bild - oder besser: ein Relief - gerahmt. Eine große Anmut geht von der Assemblage aus, die die Künstlerin »Ein Hemd ist ein Hemd ist ein Hemd« genannt hat.
Ausstellungsinfo
Die Ausstellung ist in der Volkshochschule Tübingen, Katharinenstraße 18, bis zum 28. Juni zu sehen, Montag bis Freitag von 8.30 bis 21 Uhr, in den Ferien bis 17 Uhr. Das Begleitprogramm im VHS-Saal: ein Vortrag über Gertrude Stein von Katharina Luther (4. Juni, 19 Uhr), eine Lesung, in der Nancy Hünger Einflüssen der Dichterin in ihrem eigenen Schaffen nachspürt (18. Juni, 19 Uhr) und ein Streifzug durch Steins Texte mit Monika Müller-Schauenburg und Michael Raffel (25. Juni, 19 Uhr). (GEA)
Jacqueline Wanner gehört zu den Künstlerinnen, die sich mit Gertrude Steins Satz »Life is a comma« auseinandergesetzt haben. Sie setzt ihn im Druck mit Mixed Media künstlerisch-grafisch in Szene. Wobei das Komma auch mal im Doppelpack daherkommt und so wie ein Anführungszeichen aussieht. Auf jeder der drei aufeinander bezogenen Arbeiten ist nur ein Teil von Steins Satz zu sehen. Stellenweise an den Rand gedrängt - wie das Wort »comma«, von dem ein Teil dem ungewöhnlichen Bildschnitt zum Opfer fällt.
»The world is round« (»Die Welt ist rund«) - auch so ein Satz von Gertrude Stein (und ein Buchtitel). Christine Ziegler hat er zu einem runden Handfilz-Objekt inspiriert, das aus in zwei Reihen angeordneten runden Objekten mit unterschiedlich großen Öffnungen besteht. Beigefarben. Ein bisschen wie Augäpfel, die nicht alle ganz in die gleiche Richtung ausgerichtet sind und deutlich machen: Es gibt mehr als nur eine Perspektive. (GEA)