TÜBINGEN. Die aus Israel stammende Regisseurin Sapir Heller erarbeitet derzeit am Landestheater Tübingen (LTT) mit der Produktion »Lebendige Stolpersteine« einen »theatralen Gang durch die jüdische Geschichte Tübingens«, wie es im Untertitel heißt. Das Projekt, das im Stadtraum angesiedelt ist, führt, so Sapir Heller, durch die Altstadt bis zum LTT. »Das Publikum wird dabei von einem markanten Punkt – oft sind das Stolpersteine – zum nächsten geführt, wo schon die LTT-Schauspieler und -Schauspielerinnen warten und eine Szene spielen werden«, so die Regisseurin.
Dabei werden Szenen aus der wechselvollen jüdischen Geschichte Tübingens gezeigt. Viele haben mit Flucht und Vertreibung oder Ermordung im Dritten Reich zu tun, »manche aber auch mit der Vertreibung der Juden im Zuge der Universitätsgründung oder mit der Situation heute«.
Generell sei als Nicht-Tübingerin interessant nachzuverfolgen, »wie massiv Jüdinnen und Juden aus der Stadt ferngehalten wurden«. Auch dass sich nach dem Holocaust und dem Ende des Dritten Reichs keine eigene Gemeinde mehr in der Stadt gebildet hat, findet sie bemerkenswert: »Warum kam niemand mehr hierher zurück? Welche Geschichten wurden damit für immer verdrängt? Diesen Fragen haben wir versucht nachzuspüren. Und auch Kontakt aufzunehmen zu hier lebenden Israelis oder Jüdinnen und Juden, um mit ihnen darüber zu sprechen, wie die Situation heute ist. All das floss dann in die Produktion ein und wird erlebbar gemacht«, so Heller.
Warum sie dieses Projekt nun in Tübingen realisiert, erklärt sie so: »Es gab eine Anfrage durch den Förderverein für jüdische Kultur in Tübingen, der sich 2024 kulturell mit der Ansiedelung von Jüdinnen und Juden vor 250 Jahren in Wankheim zwischen Reutlingen und Tübingen auseinandersetzt – und so kam es zu einer Kooperation mit dem LTT.«
Außerdem wurden Kooperationen mit der Universität Tübingen vereinbart: »Studierende der Universität haben eine eigene digitale Plattform entworfen, die es ermöglicht, während des Stadtrundgangs zusätzliche Informationen audiovisuell zu erhalten oder sogar mit der Szene zu interagieren.«
Bereits mehrfach am LTT
Sie selbst hat bereits 2016 in Tübingen über den NSU-Prozess theatral gearbeitet. 2023 zeigte das LTT kurz nach dem Terrorüberfall der Hamas auf Israel den Text »17 Schritte humanistisch zu bleiben nach einem Massaker« von Maya Arad Masur in einer von Sapir Heller erarbeiteten Performance.
Ob in der heutigen Zeit ein Theaterabend in diesem Format vielleicht besonders wichtig sei, beantwortet Sapir Heller so: »Wir wurden direkt bei der ersten Probe im öffentlichen Raum von heftigen Zwischenrufen und Pöbeleien unterbrochen. Das war sehr aggressiv, dabei ging es in der Szene, die wir probten, weder um Israel noch den Krieg in Gaza.« Hier verschiebe sich gerade etwas. Antisemitismus werde wieder öffentlich geduldet. Daher: »Ja, ich glaube, dass ein solcher Abend sehr wichtig ist. Wir müssen die Wurzeln unserer Geschichte betrachten, um uns mit unserer Gegenwart auseinandersetzen zu können.« (eg)
AUFFÜHRUNGSINFO
Mit: Franziska Beyer, Dennis Junge, Jennifer Kornprobst, Stephan Weber/Andreas Guglielmetti, Sabine Weithöner. Regie, Idee & Konzept: Sapir Heller. Raum und Kostüme: Sarah Elena Kratzl. Dramaturgie, Konzept & Produktionsleitung: Adrian Herrmann. Multimedia-Konzept: Erwin Feyersinger, Kevin Körner, Studierende der Universität Tübingen. Premiere: 7. Juli, 19 Uhr. Beginn am Synagogenplatz (Gartenstraße 33), Ende im LTT. Weitere Vorstellungen: 11.,13. und 21. Juli. (eg) www.landestheater-tuebingen.de