REUTLINGEN. Schön, dass sich auch junge Leute für Orgeln interessieren und damit all jene Unkenrufe Lügen strafen, dass Kirchenmusik jenseits der Generation Silbersträhne kaum jemanden zu begeistern vermag. Noch toller, wenn sich die musikbegeisterten jungen Menschen aktiv für die Generalüberholung, Erweiterung und Modernisierung der Marienkirchen-Orgel engagieren. So wie jetzt die Junge Sinfonie Reutlingen, die ein ganzes Benefizkonzert hierfür ausrichtete. Und was für eines!
Schon der wuchtige Einstieg in Beethovens Egmont-Ouvertüre ließ aufhorchen. Unter der genauso engagierten wie punktgenauen musikalischen Leitung von Konrad S. Heinz erwiesen sich die einzelnen Klanggruppen ausgewogen balanciert und in allen Phrasierungsdetails sinnfällig aufeinander bezogen. Das Ablösen innerhalb der Bläser funktionierte makellos. Blitzsauber gerieten die kniffligen Streicher-Passagen. Die gerade bei Beethoven so wichtigen dynamischen Kontrastbildungen auf engem Raum hatten Heinz und seine jungen Sinfoniker sehr gut herausgearbeitet, wie sie auch in der triumphalen Schlussgruppe die ganze emotionale Kraft des Stücks freisetzten, straff akzentuiert, mit markanten Hornrufen und scharfkantigen Schleifern der Piccoloflöte.
Differenzierte Klangbalance
Heinz ist ein Dirigent, der mit klarer Zeichengebung und deutlicher Gestik rhythmische Genauigkeit, Emotionalität und differenzierte Klangbalance gleichermaßen steuert und die Abläufe souverän im Griff hat. Dies kam auch im nur selten zu hörenden Konzert für zwei Flöten und Orchester von Franz Doppler zur Geltung. Dieser Zeitgenosse von Richard Wagner (beide starben 1883) wie auch sein jüngerer Bruder Karl bereisten als Flötenvirtuosen die großen Konzerthäuser im einstigen K.u.K.-Reich gleichermaßen wie sie in London mit ihrem Spiel Furore machten. Zeitzeugen zufolge waren sie so fantastisch aufeinander eingespielt, dass sie wie ein Instrument klangen.
Dasselbe Prädikat dürfen die beiden Solisten im Reutlinger Konzert für sich in Anspruch nehmen. Lena Seitz und Lukas Dorfmüller studier(t)en beide an der Lübecker Musikhochschule bei der großartigen Professorin Angela Firkins. Dorfmüller steht kurz vor seinem Bachelorabschluss, Seitz vor ihrem Master bei Prof. Pirmin Grehl in Luzern. Beide flankierten ihre Studienzeit durch internationale Meisterkurse, professionelle Orchestererfahrung und Kammermusikspiel. In Reutlingen brillierten sie als bestens aufeinander eingespieltes Team schon in den rasanten Läufen des Hauptthemas.
Spritziger Epilog
Empfindsam gelang das Seitenthema, spritzig der Epilog. Triller und andere Ornamente wurden geschmackvoll platziert. Dirigent und Orchester folgten mit vorbildlicher Aufmerksamkeit, wobei die Harfe für ihr hingebungsvoll gestaltetes Andante ein Sonderlob verdient. Der Finalsatz entfachte das Feuer des Eingangs-Allegros von Neuem, wobei die Gestaltung der beiden Solostimmen den Opernkomponisten Doppler verriet. Und so gönnten sich Lena Seitz und Lukas Dorfmüller bei der selbstverständlichen Eleganz ihres Spiels auch die leichte Anmutung eines Bühnenduetts.
Konrad S. Heinz spann am Dirigentenpult diese musiktheatralischen Fäden in Camille Saint-Saëns rauschhafter dritter Symphonie für Orgel und Orchester weiter. Das war nun wirklich ganz große Oper! Doch wie es sich auf der Bühne gehört, kamen genauso die verinnerlichten Farben bei hinreißender Piano-Kultur zur Geltung. So wie es hier rauschte, toste und tobte, waren dort zarteste Nuancen zu vernehmen. Und die jungen Musikerinnen und Musiker mit ihrem charismatischen Leiter spürbar in ihrem Element. Mit weniger Zurückhaltung bei der Ausführung des Klavierparts im Trio-Teil des dritten Satzes und im Finalsatz wären die Klangreize von Saint-Saëns raffinierter Instrumentation sogar noch stärker hervorgetreten.
Mächtige Akkorde
Für diese sorgte umso mehr Torsten Wille an der Orgel. Freilich ohne dabei das Orchester zu überdecken, was ihm ein Leichtes gewesen wäre. Mächtige Akkorde durchfluteten den gotischen Sakralraum, und das Orchester agierte bei aller Kraftfülle (speziell im disziplinierten Schwerblech und beim Schlagwerk) stets kultiviert. Das erfreulich zahlreich erschienene Publikum, darunter auch der Schirmherr des Konzerts, OB Thomas Keck, war begeistert. (GEA)