BERLIN/REUTLINGEN. Als sie in der achten Klasse begann, Gitarrenunterricht zu nehmen, wurde ihr schnell klar, dass sie abseits des Leistungssystems auch ohne Studium etwas aus sich machen kann. Heute tourt Elif Demirezer durch ganz Deutschland. Die heute 31-Jährige, die im Jahr 2009 mit 16 Jahren in einer Castingshow ihre Karriere startete, veröffentlichte jüngst ihr viertes Studio-Album »Endlich tut es wieder weh«. Vor ihrem Auftritt im Reutlinger im franz.K am Freitag, 26. Juli, spricht die Musikerin im Interview mit dem Reutlinger General-Anzeiger über die Entstehung ihres Albums und über ihren Weg zur erfolgreichen Sängerin und Rapperin.
GEA: Elif, was hat sich bei Ihnen seit den Anfängen Ihrer Musikkarriere verändert, was ist gleich geblieben?
Elif: Als ich mit Musik angefangen habe, haben mich meine Eltern gefragt: »Wie willst du denn davon leben?« Ich wusste es selbst noch nicht. Ich wusste nicht, was es eigentlich bedeutet, Musik zu machen – weil ich nur aus Leidenschaft begonnen habe. Wie das Musik-Business funktioniert, davon hatte ich keine Ahnung. Heißt: Ich habe einfach angefangen. Diese Naivität ist mittlerweile aber weg. Immer noch in all der Zeit gleich geblieben ist das Feuer, eine bestimmte Art von Magie. Denn man weiß tatsächlich nie genau, was nach einem Release passiert – jedes Album ist anders. Was ich sagen kann: Ich bin abgeklärter geworden. Wenn man mit mir spricht, darf man sich von meiner ruhigen Art nicht irritieren lassen
Dass Sie bereits in der Schule wussten, was Sie später werden wollen – abseits des Bildungssystems – ist sehr beeindruckend. Wie kam es dazu?
Elif: Man spürt, wenn ein Mensch einen inspiriert. Ich habe damals einen Gitarrenlehrer gehabt, der noch in den 70er-Jahren gelebt hat und für mich wie ein Mentor war. Das war kein Lehrer aus der Schule. Er hat mir die Grund-Akkorde beigebracht, und immer, wenn ich einen Song covern wollte, hat er mir dabei geholfen. Das war ein Mensch, der mir gezeigt hat, dass man es nur durch sein Talent und ohne Schulabschluss oder Studium zu etwas bringen kann. Mit Musik ist er – wegen seines Talents – Musiklehrer geworden. An alle Leser kann ich sagen: Wenn ihr nicht wisst, was ihr mit eurem Leben genau anfangen wollt, sucht nach diesen, wie ich sie nenne, Schlüsselmenschen. Den akademischen Weg wollte ich nie gehen, sondern ich habe mein Talent genutzt und Chancen ergriffen.
Was bringen Sie davon beim Hafen-Sound-Festival mit auf die Bühne nach Reutlingen?
Elif: Die Leute können sich auf eine sehr energiegeladene Show freuen. Und auf Rock. Unser Set ist sehr rockig, sehr »full of energy«. Wenn ihr glaubt, dass ihr euch nicht bewegt und nur dumm herumstehen müsst, werde ich das nicht zulassen. Ich komm auf die Bühne und es geht los. Von meiner ruhigen Art, wenn man mit mir spricht, darf man sich nicht irritieren lassen. Auf der Bühne sieht das alles ganz anders aus. In meinem Leben habe ich auch schon ein paar Akustik-Konzerte gegeben, dann sind wir nur mit zwei Gitarren losgezogen. Mein Kern ist es aber einfach, mit Band unterwegs zu sein. Das macht am meisten Spaß. Ich habe eine tolle Band, freut euch drauf. Und ja: Der Dresscode für das Konzert ist definitiv schwarz, also kommt gerne in eurem schönsten All-Black-Outfit, auch wenn es warm im Sommer ist.
Sie sind dann also dieses Jahr schon wieder auf Tour?
Elif: Dieses Jahr wird mein großer Festival-Sommer. Für mich ist das sogar ein kleiner Meilenstein. Ich mache schon so lange Musik, aber in diesem Sommer bin ich nur unterwegs und gebe ab Mai in ganz Deutschland Konzerte. In Reutlingen haben wir ja bisher noch nicht gespielt. Der Song beschreibt mein Gefühl, als ich das Album geschrieben habe.
Zu hören gibt's ja auch das neue Album »ENDLICH TUT ES WIEDER WEH«. Wenn Sie einen Song aus dem Album auswählen könnten, der der Welt sagt: »Das bin ich – das ist mein Weg.« Welcher wäre das und warum?
Elif: »BOMBERJACKE«. Der Song beschreibt mein Gefühl, als ich das Album geschrieben habe. In Berlin war ich in der Zeit viel für mich. Das ist für mich der Soundtrack für die Platte. Ich bin auch immer mit Bomberjacke unterwegs. Ich war meistens nachts wach und ich bin jemand, der viel beobachtet. Das hört man dem Album an. Ich geh’ durch die Stadt und beobachte alles, bin mittendrin im Dschungel. In Berlin brauchst du eine dicke Haut. Wenn ich abends rausgehe, auf jeden Fall mit meiner Bomberjacke. In der fühle ich mich auch beschützt, wie ein Schutz vor der Außenwelt. Es prasselt ja so viel auf einen ein. Und man ist als Künstler ein emotionaler Mensch.
Was möchten Sie mit dem Titel »Endlich tut es wieder weh« sagen? Waren sie vor dem Album emotional betäubt?
Elif:Was ich über die letzten Jahre gemerkt habe, ist, dass ich immer an dem Schmerz gewachsen bin. Wenn etwas Prägendes passiert ist, bin ich immer erst über mich hinausgewachsen. Ich habe an mir gearbeitet, wenn ich gecheckt habe, dass etwas nicht stimmt und ich da heraus muss. So habe ich mehr über das Leben gelernt, als in solchen Zeiten, in denen immer alles Friede, Freude, Eierkuchen war. Solche Phasen sind natürlich auch wichtig. Dass man nach dem Schmerz wieder in seiner Wohlfühlzone landet. Aber irgendwann kommt immer der Drang, dass man weitergeht, das hört bei mir auch nicht auf. Das »Endlich« im Album-Titel steht eigentlich für die Freude, dass etwas weh tut, wenn man weiß, dass man daran wächst – wenn man’s schafft.
Der Song »Roses« ist sehr nostalgisch. Wie ist es für Sie, schöne Erinnerungen wie diese in der Öffentlichkeit zu teilen?
Elif: Ich möchte, dass sich die Leute in meinen Liedern wiedererkennen. Darüber freue ich mich auch sehr. Was ich singe, sind meine Erfahrungen, die mich emotional berührt haben. Das Schönste ist, wenn ich mit meiner Kunst, also mit meinen Worten, jemanden berühren kann. Anders kenn’ ich das auch nicht, als auf diese Weise meine Gefühle zu erzählen – das war schon immer so. Ich glaube auch, im Leben wäre ich untergegangen, wenn ich mich nicht für die Musik entschieden hätte.
Wie schließen Sie damit an das womöglich nächste Album an – gibt es schon Inspirationen und neue Ideen?
Elif: Ich hab schon sehr viele neue Ideen. Dieses Jahr möchte ich aber noch bei meinem jetzigen Album bleiben, das zu Ende führen, und danach ein neues Projekt anfangen. Aber was ich auf jeden Fall sagen kann: Das letzte Album hat mich sehr, sehr viel über mich gelehrt und ich bin an meinem Album und an den Geschichten gewachsen. Endlich tut es wieder weh, und ich habe das Gefühl, jetzt ich bin da durch. (GEA)
Elif: 26. Juli, 20 Uhr, Echaz-Hafen, Reutlingen
FESTIVALINFO
Beim Hafensounds-Festival im Reutlinger Echaz-Hafen spielen Anne Clark & Band (25. Juli, 19.30 Uhr), Elif (26. Juli, 20 Uhr), Fjørt (27. Juli, 20 Uhr), Die Nina Simone Story feat. Fola Dada (28. Juli, 19 Uhr), Les Yeux d’la Tête (1. August, 19 Uhr), Mal Élevé (2. August, 20 Uhr), Kettcar (3. August, 20 Uhr) und Jeremias (4. August, 19 Uhr). (GEA) www.franzk.net/musik