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Eine Ära geht zu Ende: Clemens Wittel feiert Abschied im Reutlinger Jazzclub

Clemens Wittel zelebrierte am Samstagabend mit Tante Friedas Jazzkränzchen seinen Abschied im proppenvollen Reutlinger Jazzclub in der Mitte.

Oberbürgermeister Thomas Keck (rechts) bedankte sich bei Reutlingens »Mr. Jazz« Clemens Wittel.
Oberbürgermeister Thomas Keck (rechts) bedankte sich bei Reutlingens »Mr. Jazz« Clemens Wittel. Foto: Jürgen Spieß
Oberbürgermeister Thomas Keck (rechts) bedankte sich bei Reutlingens »Mr. Jazz« Clemens Wittel.
Foto: Jürgen Spieß

REUTLINGEN. »Wenn es in Reutlingen einen Mr. Jazz gibt, dann sitzt er hier«, so Oberbürgermeister Thomas Keck bei der Verabschiedung von Clemens Wittel im proppenvollen Jazzclub in der Mitte. Nicht nur der Oberbürgermeister – der die Dankesrede hielt und das ganze Konzert über blieb –, auch mehr als hundert Besucher erwiesen dem langjährigen Vorstand (seit 2006) und Programmmacher (seit 1984) des Reutlinger Jazzclubs am Samstagabend ihre Reverenz. Der mit Lobeshymnen und Geschenken überhäufte Pianist bedankte sich mit einem annähernd dreistündigen Dixieland-Happening. Seine sechsköpfige Band Tante Friedas Jazzkränzchen und zwei weitere Überraschungsgäste zeigten sich bestens aufgelegt und swingten um die Wette, als wären sie gerade einem Jungbrunnen entstiegen.

Dabei ist es inzwischen mehr als 50 Jahre her, dass sich Ende der 1960er-Jahre in Reutlingen eine Combo formierte, die sich dem damals durch Louis Armstrong wieder neu entdeckten New-Orleans-Jazz zuwandte. Der heute 77-jährige Pianist Clemens Wittel war 1968 einer der Gründer von Tante Friedas Jazzkränzchen, die aus den Steamboat Stompers hervorging. Schon damals trat die Band im seinerzeit noch in der ehemaligen Weinschenke Pablo Just untergebrachten Jazzclub in der Mitte auf und nun, mehr als 56 Jahre später, schloss sich der Kreis zum Abschied des langjährigen Programmmachers und Vorstands in dem kleinen Jazzclub in der Gartenstraße.

Nicht wegzudenken aus der Oldtime-Jazzszene

Schon beeindruckend, wie es die Reutlinger Urgesteine um Clemens Wittel immer wieder verstehen, ihr Publikum auf hohem Niveau zu unterhalten, es einzubeziehen und die »Mitte« in einen Ableger des »Quartier Latin« zu verwandeln. Ergänzt durch die beiden Gäste Dagmar Delingat (Gesang) und Norman Emberson (Schlagzeug/Gesang) zeigten Tante Frieda in ihrer aktuellen Besetzung mit Eric Biank (Trompete/Gesang), Thomas Steimle (Posaune), Charly Heim (Sax und Klarinette), Clemens Wittel (Piano), Klaus Schulze (Kontrabass) und Iris Oettinger (Schlagzeug), weshalb sie aus der Reutlinger Oldtime-Jazzszene nicht wegzudenken sind.

Das war genau nach dem Geschmack des überwiegend älteren Publikums, das sich zu diesem Happening eingefunden hatte. Die meisten waren natürlich wegen des scheidenden »Mitte«-Vorstands gekommen, der zu fast jedem Stück eine kleine Anekdote zum Besten gab, Witze erzählte und mit seinen Bandmitgliedern schäkerte. Etwa mit Gastsängerin Dagmar Delingat, »die ich seit mehr als 50 Jahren kenne und mit der ich sogar drei Tage verlobt war«. Oder er erzählt die Geschichte, wie er selbst zum Jazz gekommen ist, als ein Mitschüler dem klassischen Pianisten eine Swingscheibe in die Hand drückte und sagte: »Du musst einfach spielen, was der auf der Platte spielt.« Wittel hatte zwar keine Ahnung vom Jazz, aber beim nächsten Auftritt war er bereits Mitglied einer Swingband.

Köstliche musikalische Duelle

Musik wurde an diesem Abend auch gemacht. Souverän, unaufgeregt und routiniert intonierte das Sextett Swingklassiker wie den Otto Kuhn zum 81. Geburtstag gewidmeten »Tiger Rag«, »Some Of These Days«, »Hello Dolly« oder das französische Chanson »La mer«. Dabei konnte vor allem Trompeter Eric Biank mit einer tollen Armstrong-Stimme aufwarten. Zudem verstricken sich die drei Bläser ein ums andere Mal in köstliche musikalische Duelle, etwa, wenn sie das begeisterte Publikum in die 1940er-Jahre katapultierten.

Von wegen Dixieland ist nicht mehr als ein laues Lüftchen. In diesen drei Stunden inklusive drei Zugaben fühlte er sich eher an wie ein schwäbischer Swing-Hurrikan. (GEA)