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Aktuell Ausstellung

Ein Rest Rätselhaftigkeit bleibt

Die Fondation Beyeler in Riehen bei Basel stellt das Werk des Fotokünstlers Jeff Wall vor

»Milk« (1984): Arbeit des 1946 in Vancouver, British Columbia geborenen kanadischen Fotokünstlers Jeff Wall.  FOTO: JEFF WALL
»Milk« (1984): Arbeit des 1946 in Vancouver, British Columbia geborenen kanadischen Fotokünstlers Jeff Wall. FOTO: JEFF WALL
»Milk« (1984): Arbeit des 1946 in Vancouver, British Columbia geborenen kanadischen Fotokünstlers Jeff Wall. FOTO: JEFF WALL

RIEHEN. Jeff Koons? Nun ja. Jeff Wall wirkt leicht amüsiert über Samuel Kellers Versprecher. Der Dialog, nein: Trialog des kanadischen Fotokünstlers mit dem Direktor der Fondation Beyeler und dem Kurator Martin Schwander ist Teil der Medienkonferenz zu der ebenso vorzüglich bestückten wie sinnreich konzipierten Schau in dem Renzo-Piano-Bau in Riehen bei Basel. Im ausführlichen Interview mit Wall, abgedruckt im Ausstellungskatalog merkt Schwander an, dass das Werk des berühmten Fotokünstlers keinen markanten Stil aufweise. In der Tat. Nicht nur das unterscheidet sein Oeuvre von dem des noch berühmteren amerikanischen Künstlerkollegen, den die Fondation ebenfalls schon einmal ausgestellt hat.

Die Absenz eines wieder erkennbaren Stils ist Ausdruck einer künstlerischen Offenheit, die selten geworden ist in der Gegenwart. Nicht nur, dass Wall sich in der Wahl der Genres kein bisschen einschränkt. Neben Straßenszenen oder (Stadt-)Landschaften finden sich beispielsweise figürliche Sujets und Interieurbilder. Selbst das, was bis ins 19. Jahrhundert hinein Historienbild hieß, oder Stillleben fehlen nicht. Auch führt Walls Bilderarsenal den Betrachter in unterschiedlichste Situationen und Konstellationen.

Dieser Vielfalt entspricht eine Vieldeutigkeit seines Oeuvres, das sich Werk für Werk zumindest eine Spur Rätselhaftigkeit als unauflöslichen Rest bewahrt. Wir werden nie erfahren, wovon die Frau in »Storyteller« ihren beiden Zuhörern erzählt – noch, welcher Art die Kontroverse zwischen den beiden Protagonisten in »Event« ist.

Inszeniert wie ein Theaterstück

Protagonist: Auf die menschlichen Akteure in Walls Fotografien trifft dieser der Theatersprache entlehnte Begriff exakt zu. Denn dokumentarische Street Photography respektive Straight Photography oder – mit anderen Worten – aus dem Leben gegriffen ist Walls Fotokunst in den seltensten Fällen. In aller Regel sind seine Bilder bis ins kleinste Detail sorgfältig durchdacht, geplant – und inszeniert wie ein Theaterstück, auch wenn Wall selbst den Begriff »inszenierte Fotografie« nicht mag.

Stattdessen spricht er von »cinematografischer Fotografie«. Auch dieser Begriff ist zutreffend – und leuchtet insofern ein, als das einzelne Werk in der Darstellung eines Augenblicks oft ja lediglich den klitzekleinen Ausschnitt eines Geschehens- oder Sinnzusammenhangs bietet, den es in seiner Gesamtheit mit zu bedenken gilt; der in jedem einzelnen Werk als freilich vager Bedeutungshof mitschwingt und die Unauslotbarkeit seines Sinns kreiert.

Dabei lässt der einzelne, singuläre Augenblick, den das Kunstwerk bei Wall einfängt und dem Betrachter als vieldeutiges Sinnangebot vor Augen stellt, an die Wendung von dem »fruchtbaren Augenblick« denken. Der fängt in der dokumentarischen Fotografie das ein, was über den einen, flüchtigen Augenblick hinausweist: ein Surplus an Bedeutung.

55 auf elf Säle verteilte Werke, darunter einige erstmals ausgestellte und viele im großen, wo nicht gar im monumentalen Format: Wo hat man schon mal gleich viel von Jeff Wall in einer einzigen Ausstellung gesehen (und dabei das Viele so schön und sinnreich präsentiert!)?

Im Dialog und in Gegenüberstellungen von Bildern jüngeren Datums mit älteren arbeitet die Ausstellung »Kontinuitätsstränge« (Schwander) und Unterschiede heraus. Nicht wenige Werke haben autobiografische Wurzeln – wie »Boxing« mit zwei Jugendlichen, die sich in einer stilvollen Wohnung in dem Kampfsport messen. Neben Surrealem (»Flooded Grave«) finden sich Szenen, die die soziale Realität darstellend hinterfragen, wie »Men Waiting«; neben Alltagssituationen gleich »Summer Afternoons« spektakuläre Szenen wie einen Salto rückwärts in einer Kneipe. »Man with a rifle« zeigt einen jungen Mann auf der Straße, gefangen im eigenen inneren Film.

In manchen Werken wie »After ›Invisible Man‹«, einem der vielen Leuchtkästenbilder, die Wall 1978 in die Fotokunst einführte, bezieht sich Wall auf Literatur, im konkreten Fall auf einen Roman von Ralph Ellison.

Das Großbild-Dia »An Eviction« zeigt aus der Vogelschau die Gleichzeitigkeit des ganz Verschiedenen. Diesem Künstler trauen wir zu, dass er in Prag mit der Kamera Kafkas Odradek geschossen hat, wie er augenzwinkernd vermeint. Die Welt wirkt reicher, rätselhafter, vieldeutiger auf uns, wenn wir seine Ausstellung verlassen haben. (GEA)

AUSSTELLUNGSINFO

Die Werkschau Jeff Wall ist bis zum 21. April in der Fondation Beyeler, Baselstraße 101, im schweizerischen Riehen bei Basel zu sehen. Geöffnet ist täglich von 10 bis 18 Uhr, Mittwoch bis 20 Uhr. (GEA) www.fondationbeyeler.ch