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Ein opulenter Wurf

REUTLINGEN. Warum der Hamburger Sänger, Multiinstrumentalist, Opern- und Oratorienkomponist, Domkapellmeister, Operndirektor, Musiktheoretiker, Journalist und scharfe Kritiker Johann Mattheson in Vergessenheit geraten konnte, bleibt bis heute rätselhaft; allenfalls Musikstudenten ist er durch sein grundlegendes Werk »Der vollkommene Kapellmeister« wenigstens dem Namen nach ein Begriff.

Im Schatten Matthesons befindet sich außerdem noch Christoph Graupner, der als Kollege der Hamburger Opernkomponisten an diesem Abend mit seiner kleineren Kantate »Erbarm dich mein« für Solisten, Chor und Orchester präsent war.

Dem Leiter der Capella vocalis, Christian Bonath, ist es zu danken, wenn diese und weitere Persönlichkeiten aus Georg Friedrich Händels Umfeld wieder ins Bewusstsein der musikalischen Öffentlichkeit rücken. Dass die beiden Komponisten hinter ihren Zeitgenossen Händel, Bach oder Vivaldi keineswegs zurückzustehen brauchen, zeigte den Berichten zufolge schon Matthesons Aufführung seines vor 300 Jahren vollendeten Oratoriums »Chera« für Solisten, Chor und Orchester. Aus der Kooperation mit dem SWR ergab sich heuer ein dreitägiger Produktionsmarathon mit anschließender Liveaufzeichnung im Konzert in der Reutlinger Christuskirche.

Rundfunk- und CD-Produktion

Man musizierte für Publikum, für eine Sendung im September sowie für eine CD-Produktion in einem Wald von fünfzehn Mikrofonen, die dieses Werk hautnah vermitteln dürften.

Die Witwe Chera beklagt in Matthesons Oratorium zunächst den Tod ihres Sohnes, der dann durch Jesu Berührung des Sarges wieder aufersteht und so dem Komponisten reichlich Gelegenheit zu einer Fusion aus Oper und Oratorium bietet – im Ergebnis ein opulenter Wurf für Sänger und Instrumentalisten mit Motetten, Chören, Massenszenen, hochvirtuosen Arien und Ensembles.

Erst in den 1990er-Jahren wurde das handschriftlich überlieferte Aufführungsmaterial wieder entdeckt, aus dem das Ensemble Paulinum, ein doppelt besetzter Chor aus Solisten, und das Streichquintett Barockorchester Pulchra Musica auf barocken Instrumenten unter der Leitung von Christian Bonath spielte; Bonath begleitete zudem auf der einmanualigen Truhenorgel.

In dieser Besetzung wurde jeder Solist Teil eines lebendig austarierten Klangs. Die Choräle, Rezitative und Arien gewannen durch den weitgehenden Verzicht auf selbstständige Instrumentalstücke eine dramatische Dichte, in der kontrastreiche Affekte aufeinanderstießen und die Handlung ununterbrochen weiterdrängten.

Die Da-capo-Arien wie »Weine nicht«, berührend interpretiert von Jonas Boy und konzertant auf der Geige begleitet von Hongxia Cui, das Rezitativ von Susan Eitrich, »Lass, großer Zebaoth«, oder auch »Ich sterbe vergnügt«, berückend dargeboten von Florian Hartmann, der erst kurz zuvor eingesprungen war, reichten in eine Gefühlstiefe, die nachklingend kontemplatives Verweilen anregte.

Die Aufnahmen, die ziemlich frei von Nebengeräuschen sein dürften, werden an einem Samstagabend im September oder Oktober nach Vorankündigung in der Presse im SWR2-Hörfunk ausgestrahlt; die entsprechende CD ist in Vorbereitung. (GEA)