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Drama für 88 Tasten: Pianist Kolja Lessing in der Pfullinger Thomaskirche

Dieser Klavierabend mit seinem alleine schon vom Repertoirewert nicht hoch genug anzusiedelnden Programm stand im Zeichen von Franz Liszt, seinem Lehrer Carl Czerny und seinem Schüler Julius Reubke. Wie es der Pianist Kolja Lessing verstand, ein veritables Drama für 88 Tasten aufzuführen.

Kluge Moderation, virtuoses Spiel: Kolja Lessing in der Thomaskirche.
Kluge Moderation, virtuoses Spiel: Kolja Lessing in der Thomaskirche. Foto: Riedlbauer
Kluge Moderation, virtuoses Spiel: Kolja Lessing in der Thomaskirche.
Foto: Riedlbauer

PFULLINGEN. Klavierstücke von Carl Czerny im Programm eines künstlerischen Soloabends von einem Musikhochschul-Professor? Gehört so etwas nicht eher zu einem Schülervorspiel? Es bedurfte nur weniger Worte, da hatte Kolja Lessing zu Beginn seines Konzerts in der Pfullinger Thomaskirche derlei Klischees beiseite geräumt. Er warb dafür, das Ohr für die andere Facette des Komponisten zu öffnen, der neben seinen zum Broterwerb geschaffenen Etüden wertvolle Werke hinterlassen hat. Die von seiner tiefen Repertoire-Kenntnis von Bach über Mozart bis Donizetti zeugen. Verständlich machen, dass er ein bedeutender Lehrer war. Von keinem Geringeren als Franz Liszt beispielsweise.

So zeigte Lessing in Czernys e-Moll-Fantasie und einigen Präludien, wie viel Chopin-nahe perlende Girlanden in ihnen stecken, wie viele Affekte zwischen träumerischer Innigkeit und kantigen Akkorden. Was wiederum an Robert Schumann gemahnte, wie auch Beethovens selten zu hörendes »Allegretto h-Moll«, das von Lessing sensibel nachgezeichnet worden ist.

Erweiterte Tonalität

Aus dem frühen 20. Jahrhundert hatte der Pianist Gabriel Faurés Des-Dur-Impromptu op. 91 mitgebracht, welches mit seinen changierenden Farben und seiner erweiterten Tonalität dem Impressionismus nahe steht, jedoch noch eingebunden ist in jenen typisch französischen Klassizismus, der sich als Gegenströmung zum »Wagnérisme« ausgeprägt hatte. Dem bewusst, wirkte Lessing der Gefahr entgegen, die Konturen der musikalischen Abläufe zerfließen zu lassen, und wahrte bei aller Subtilität das gebotene Maß an Strenge.

Damit leitete er zur Klangästhetik der »Resonanzen« von Veit Erdmann-Abele hin, fünf knappe Klavierstücke zu Texten von Heloise Palmer. Lessing hat sie in seiner Moderation zutreffend als »Lieder ohne Worte« bezeichnet, die ihre Wirkung auch unabhängig vom lyrischen Ausgangspunkt entfalten. Es ist eine Musik mit starker Innenspannung, die sich auf das Wesentliche konzentriert, zugleich von einer pulsierenden rhythmischen Kraft durchzogen ist. Heißt für den Interpreten, er muss die Essenz herausarbeiten, verdichten, ohne Umschweife auf den Kern der einzelnen Miniaturen kommen. Was Lessing geradezu idealtypisch gelungen ist.

Bearbeitung Wagner‘scher Opernmusik

Die zweite Hälfte des alleine schon vom Repertoirewert nicht hoch genug anzusiedelnden Programms stand im Zeichen von Franz Liszt. Zunächst mit dessen Transkription von Richard Wagners »Isoldens Liebestod«, eine der insgesamt 15 faszinierenden Klavierbearbeitungen Wagner‘scher Opernmusik durch den Klaviervirtuosen. Hier lotete Lessing Tempoübergänge und Spannungspotenziale aus, wie man sie selbst bei orchesterbegleiteten Aufführungen des »Tristan« manchmal vergebens sucht.

Hauptwerk war dann die Klaviersonate b-Moll von Julius Reubke, der in Liszts Weimarer Zeit zu dessen Lieblingsschülern gehörte. Wenige Monate vor seinem frühen Tod mit nur 24 Jahren schrieb er die einsätzige, knapp halbstündige Klaviersonate, für die Liszts vergleichbar konzipierte h-Moll-Sonate Modell gestanden war. Ein noch über Liszt hinausgehendes, herbes Werk. Nervös-fiebrig, mit jähen Abgründen. Zerklüftet und hoch emotional, mit einer den Flügel geradezu zum Bersten bringenden Wucht. Was umso mehr der steten Kontrolle des Pianisten bedarf. Und die Lessing auch bei allen scharf und prägnant herausgemeißelten Dissonanzen, bei allen »Grandioso«-Aufwallungen nicht verlor. Nie riss der Spannungsfaden ab, auch in den wenigen Ruhepunkten glühten die vorangegangenen pianistischen Feuersbrünste noch nach. Ein packendes Drama für 88 Tasten. (GEA)

Konzertinfo

Am 13. Oktober wiederholt Kolja Lessing die Aufführung der Reubke-Sonate um 20 Uhr in der Stadtkirche Bad Cannstatt. (GEA)