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Aktuell Geistliche Musik

Die Frage nach dem Warum

Der Chor Capella Vocalis sang in der Reutlinger Marienkirche.

Die Capella Vocalis bei der Passionsmusik in der Marienkirche.  FOTO: KNAUER
Die Capella Vocalis bei der Passionsmusik in der Marienkirche. FOTO: KNAUER
Die Capella Vocalis bei der Passionsmusik in der Marienkirche. FOTO: KNAUER

REUTLINGEN. Die Frage nach dem Warum quält wohl viele in diesen Tagen. Warum ist Krieg in Europa? Warum kommt so viel Leid über die Menschen in der Ukraine? Johannes Brahms hat das große Warum in seiner Motette Opus 74,1 besonders greifbar in Musik gepackt. Der Knabenchor Capella Vocalis hat diese Musik eindrucksvoll in den Raum gestellt bei seiner Passionsmusik am Karfreitagabend in der Marienkirche, als bittende Anrufung und gleichzeitig sanft in sich ruhend.

Der Chor von Christian Bonath war schwer im Einsatz über Ostern. Am Donnerstag hatte man mit rund 60 Sängern am Benefizabend für die Ukraine-Hilfe in der Stadthalle mitgewirkt. Am Freitag war man in etwas kleinerer Zahl in der Marienkirche präsent. Mit einem ungewöhnlichen Programm: Vor allem Franz Liszts Kreuzwegs-Kantate »Via crucis« ist kaum jemals in Konzerten zu hören.

Nun aber doch, ein Werk, das mit einer Kombination aus archaischen und zukunftsweisenden Elementen fasziniert. Im Wechsel von psalmodierender Deklamation und kühn-chromatischen Orgelzwischenspielen folgt die Kantate dem Weg Jesu ans Kreuz. Wuchtige Chorausrufe markieren die Stellen, an denen Jesus unter der Last des Kreuzes stürzt – jeweils gefolgt von Anrufungen der Mutter Maria in ihrem Schmerz in engelsgleichen Terzharmonien der hohen Knabenstimmen. Dazwischen solistisch und ebenfalls psalmodierend die Ausrufungen von Pilatus und Jesu Worte am Kreuz, letztere ausdrucksstark von Chorleiter Bonath gesungen.

Die ganze Abfolge verbindet den Charakter einer Prozession mit Elementen des mystisch Entrückten. Wobei es Torsten Wille an der Orgel wie den jungen Sängern überzeugend gelang, das Gefühl eines heiligen Rituals zu erzeugen.

Charakter einer Prozession

Mozarts »Miserere« greift durch seinen Wechsel aus gregorianischen Zeilen und auskomponierten Chorpassagen diesen Prozessionscharakter auf seine Weise auf. Auch hier übernahm Bonath selbst die gregorianische Deklamation. Wobei der Kontrast zwischen der archaischen Einstimmigkeit seiner Passagen und dem seidigen Zusammenklang der Chorstimmen einen besonderen Reiz vermittelte. Dazu kommt die Konzentration dieses vorbildlich sauber intonierten Stücks, weil hier nur die älteren Sänger am Werk waren.

Bei Brahms’ »Warum«-Motette waren auch die Knaben wieder dabei. Auch hier gelang ein ausgeglichenes Klangbild – und das a cappella, also ohne Orgelbegleitung. Wobei der Chor sehr organisch die »Warum«-Anrufung des Beginns in den freudig bewegten Teil überführte, ehe der in sich ruhende Choral »Mit Fried und Freud ich fahr dahin« das Stück beschloss. Die Hoffnung auf Frieden bleibt. (GEA)