BAD URACH. Den Ausbruch größten Temperaments hob sich Paula Jeckstadt für den Schluss auf. Wobei das bis dahin Gebotene alles andere als ein Warmsingen war. Arien von Georg Friedrich Händel, Barbara Strozzi und Henry Purcell standen beim Barockkonzert, das die aus Bad Urach stammende Sopranistin zusammen mit dem Instrumentalensemble Incanto della Musica gestaltete, auf dem Programm, neben Sonaten von Heinrich Ignaz Franz Biber, Isabella Leonarda und Johann Sebastian Bach.
Jeckstadts Arie der Cleopatra »Da tempesta« aus der Händel-Oper »Giulio Cesare in Egitto« war es, die ganz am Ende stand und die an manchen Stellen Charakteristisches von Mozarts Königin-der-Nacht-Virtuosität und -Verve aus der »Zauberflöte« vorwegzunehmen schien. Händel konnte sich, als er die Oper vor knapp 300 Jahren komponierte, auf die besten Stimmen seiner Zeit verlassen.
Königsklasse – oder besser: Königinnenklasse – ist diese mit Koloraturen gespickte Arie per se. Paula Jeckstadt drehte beim Konzert im Rahmen der Herbstlichen Musiktage in der Bad Uracher Schlossmühle klanglich, gestalterisch und in Sachen Passion voll auf, legte der Ägypterkönigin glucksende Freude und Erleichterung in die Stimme. Wobei das alles technisch für sie keine Herausforderung zu sein schien.
Kosmen des Ausdrucks
Eine ungeheure Anmut ging den Abend über von Jeckstadts wunderbar rundem, ausdrucksvollem Sopran aus. Auch eine große Gefasstheit, ein In-sich-Ruhen meinte man zwischen den Auftritten zu spüren. Da war eine Sängerin glänzend vorbereitet, und sie vermochte all das an Seele und Zauber in einen Moment zu packen, dass einen das Gehörte nicht nur erreichte, sondern auch wirklich berührte. Mühelos wechselte sie in »Meine Seele hört im Sehen« aus Händels »Neun Deutschen Arien« die Lagen. Die gute Textverständlichkeit ihres Vortrags rührte nicht zuletzt daher, dass sie den Text mit ihrem Wesen durchdrungen, ihn für den Moment zu ihrem eigenen gemacht hatte. Beeindruckend! Vor allem auch, wie organisch sich die Gefühlsregungen in fein gewobenen Kantilenen entwickelten. Das war auch vom Ensemble Incanto della Musica fabelhaft umgesetzt. Bestechend, wie die Musikerinnen in Händels Arie »Künft’ger Zeiten eitler Kummer« gemeinsam mit der Sängerin kleine Kosmen des Ausdrucks ausleuchteten. Aufblühende Töne und Linien prägten das Geschehen.
Um große Themen wie Liebe und Tod, Treue und Untreue drehte sich die Arie aus Barbara Strozzis »L’Eraclito Amoroso«. Paula Jeckstadt, die in diesem Jahr in der Inszenierung von Leonard Prinsloo in Bed rˇich Smetanas »Die verkaufte Braut« in der Hauptrolle der Marie im Schlosstheater Schönbrunn debütierte, sang hier von Qualen und Martyrien; darüber, dass all das sie ja eigentlich nicht kümmere. Bis sie am Ende in tiefer Lage beklagte, dass ihre Seelenpein sie ins Grab bringe.
Die Arie »Rejoice« aus Händels Oratorium »Messiah« hatte da vor der Pause ungleich freudiger und versöhnlicher geklungen. Was für ein Kontrast! Toll, wie die junge Sopranistin hier ihre Zieltöne ansteuerte und ihnen neben einem Klang- auch einen Energieimpuls gab. Lediglich die Koloraturen gerieten teilweise etwa zu vordergründig.
Lebhaftes Erblühen
Henry Purcells »Oh let me weep« zeigte die Sängerin und das begleitende Trio im Seufzermodus. Sehr innig dargeboten war diese berührende Musik. Daran knüpften die Interpretinnen später in der Zugabe mit Händels »Lascia ch’io pianga«, dem Klagelied aus der Oper »Rinaldo«, an.
Die aus Mössingen stammende Christine Busch an der Barockvioline, Inka Döring am Violoncello und Veronika Braß am Cembalo bilden das Ensemble Incanto della Musica, das beim Konzert im Prof.-Dr.-Willi-Dettinger-Saal gerade auch in den Sonaten eine beeindruckende Interpretationsreife an den Tag legte. Passend zum Festivalmotto »Engelszungen« hatten sie zwei Sonaten von Heinrich Ignaz Franz Biber mitgebracht, zu »Mariae Verkündigung«, mit Violine und Basso continuo dargeboten, sowie die als Monolog konzipierte »Schutzengel-Passacaglia«, die Christine Busch als Solistin spielte. Sehr andächtig und seelenvoll tat sie das, zwischen Reflexion, wiegendem Behüten und lebhaftem Erblühen (mit vielen Doppelgriffen) wechselnd. »Greensleves«-Variationen eines Anonymus aus dem 17. Jahrhundert gestaltete Inka Döring mit Generalbassbegleitung sanft und behände und federnd robust. Faszinierend, wie sie dabei gleichsam mit ihrem Instrument verschmolz.
Bemerkenswert war auch die von Tanzmusik und Vokaltechnik geprägte Sonate für Violine solo und Basso continuo von Isabella Leonarda, einer italienischen Nonne und Komponistin aus dem 17. Jahrhundert, die das Ensemble wie als Beschwörung einer großen Leichtigkeit des Daseins spielte. Und nicht zu vergessen die Bach-Sonate für Violine und Basso continuo in G-Dur, BWV 1021, der die Instrumentalistinnen Ausdruckstiefe und Liebreiz entlockten. (GEA)