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Aktuell INTERVIEW

Der Tastenmagier ist Zeitungsfan

REUTLINGEN. Igor Levit ist schon mit der Württembergischen Philharmonie aufgetreten, da kannten ihn noch die wenigsten. Schon damals fesselte und verblüffte er die Hörer mit seinem Spiel. Längst gilt er als eine der großen jungen Hoffnungen im Pianisten-Metier. Am kommenden Montag stellt er sich dem Publikum des Sinfoniekonzerts der Philharmonie mit Prokofjews zweitem Klavierkonzert vor. Im GEA-Gespräch verriet der 27-Jährige, dass er leidenschaftlich gern Zeitung liest und Fan des Fußballbundesliga-Clubs Hannover 96 ist.

Musiker, Fußballfan, kritischer Geist: der Pianist Igor Levit. FOTO: FELIX BROEDE
Musiker, Fußballfan, kritischer Geist: der Pianist Igor Levit. FOTO: FELIX BROEDE
Musiker, Fußballfan, kritischer Geist: der Pianist Igor Levit. FOTO: FELIX BROEDE
GEA: Wie lebt es sich damit, als »Jahrhundertpianist« zu gelten?

Igor Levit: Es freut mich in dem Moment, wenn ich es lese – doch dann geht das Leben normal weiter. Am Ende des Tages ist mir meine Arbeit viel zu wichtig, als dass ich diese ob solcher Kritiken vernachlässigen würde – und für diese Arbeit genügen keine schönen Worte, sondern braucht es vor allem Zeit.

Andere Pianisten wählen für ihr CD-Debüt Chopin, vielleicht Rachmaninow – Sie haben die letzten fünf Beethoven-Sonaten genommen. Hatten Sie keine Angst, sich zu verheben?

Levit: Für wen verhebe ich mich? Solange ich mich selbst im Spiegel anschauen kann, mache ich das. Für mein Alter habe ich wirklich sehr lange und intensiv an diesen Sonaten gearbeitet. Am Ende muss ich mich vor mir verantworten – und ich hatte einfach das Gefühl, dass die Werk-Auswahl in dem Moment alternativlos war. Beethoven ist für mich der repertoire-technische Dreh- und Angelpunkt. Für mich war einfach klar, dass es die späten Sonaten von Beethoven werden – alles andere wäre ein Kompromiss gewesen, den ich vor mir persönlich nicht hätte rechtfertigen können.

Viel Wert legen Sie auf die Zeitungslektüre. Was reizt Sie daran?

Levit: Ja, das stimmt – ich bin ein Zeitungsjunkie! Und ich lese nicht nur Zeitungen, sondern gehöre auch zu den Menschen, die diese Zeitungen noch abonnieren. Ich mag einfach schon den Geruch! Ich mag es, Zeitungen zu lesen – und ich verfolge auch bestimmte Journalisten und Themen ganz bewusst, und zwar keineswegs nur das Feuilleton. Die Zeitung gehört für mich einfach zum Alltag, und die Lektüre lasse ich mir nicht nehmen. Die Zeitungslektüre erfordert Konzentration und Zeit, ich nehme ganz bewusst einen Text wahr, geschrieben von einem Menschen, der sich darüber Gedanken gemacht hat …

… was sicher viele Online-Journalisten von sich auch behaupten würden …

Levit: … aber der Zeitungsartikel hat nicht so etwas absurd unüberlegt Schnelles wie eine Internet-Schlagzeile, sondern oftmals etwas sehr Überlegtes und ist am Ende dadurch doch um einiges reflektierter als die Online-Medien. Hinzu kommt das emotionale Moment. Ich mag es einfach, Papier in der Hand zu halten und mag auch das Gefühl, morgens die Zeitung aufzuschlagen – da hängt mein Herz dran! Und wenn ich die Zeit habe, lese ich solch eine Zeitung auch von vorn bis hinten durch und mir entgeht nichts. Nur leider habe ich zu selten die Zeit.

Eine Geschichte, die sich wohl in jeder Zeitung gut verkauft hätte, ist die Ihrer Gewichtsabnahme: 30 Kilo haben Sie verloren – wie kam das?

Levit: Anders als Ihr Journalistenkollege geschrieben hat, sicher nicht durch die Beethoven-Sonaten – wer sich die Geschichte ausgedacht hat, dem gehört eine verpasst … ich bin ein Freund von guten Witzen, aber das geht zu weit!

Wie war es also wirklich?

Levit: Ich wollte einfach Gewicht verlieren und habe angefangen, Sport zu treiben mit dem Resultat, dass ich irgendwann wie blöd Gewicht verloren habe. Ja, ich habe täglich so viel Sport gemacht, dass ich diese 30 Kilo in anderthalb Jahren verloren habe – aber es hatte wirklich keine spektakulären Gründe. Wenngleich sich im Ergebnis dadurch viel verändert hat: Das Körpergefühl am Klavier und das Selbstverständnis beim Spielen sind ein ganz anderes geworden.

Wie hat sich der Gewichtsverlust konkret auf Ihr Klavierspiel ausgewirkt?

Levit: Ich kann tiefer sitzen, und wenn ich den Arm hebe, hebe ich weitaus weniger Gewicht als zuvor – das ist ein ganz anderes Körpergefühl. Andererseits musste der Körper auch erst einmal lernen, mit diesem Gewichtsverlust umzugehen. Die Muskeln waren im ersten Moment viel empfindlicher, anfangs ermüdete ich beim Spielen auch viel schneller. Das war nicht einfach in der ersten Zeit. Zum Glück habe ich einen Freund, der Physiotherapeut ist, und wir haben angefangen, Stück für Stück meinen Körper aufzuarbeiten und an kleinen Stellschrauben zu drehen, um zu sehen: Was passiert jetzt beim Spielen? Was passiert beim Atmen? Das war ein unglaublich spannender Prozess für mich.

Welchen Sportarten gehen Sie nach?

Levit: Ein Bekannter von mir in Hannover hat ein kleines Fitnessstudio – wenn es voll ist, sind da fünf Menschen drin. Dort verbringe ich immer einige Zeit. Und dann gehe ich manchmal schwimmen und gehe spazieren um unseren Maschsee in Hannover herum. Ich bin kein Jogger – mit joggen kann man mich jagen! Wenn ich auf Reisen bin, versuche ich es stets so einzurichten, dass ich in Hotels bin, wo man auch Sport treiben kann …

… und vermutlich auch schauen? Sie sind ja, wie es heißt, ein großer Fan von Hannover 96.

Levit: Ja, dafür bin ich früher auch gern ins Stadion gegangen und sogar zu Auswärtsspielen gereist. Leider habe ich inzwischen einfach zu wenig Zeit, aber eigentlich müsste ich das Mal wieder machen.

Muss man sehr leidensfähig sein als Fan dieser Mannschaft?

Levit (lacht): Moment, ich bin nicht Fan des Hamburger SV! Es ist ein großartiger Verein, den ich intensiv verfolge. Und ich erinnere mich an großartige Reisen, etwa mit Freunden nach Dänemark, als Hannover 96 im Europacup gegen Kopenhagen gespielt hat und die Mannschaft mit 2:1 aus dem eigenen Stadion verabschiedete: Das war herrlich! (GEA)