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Der Landvermesser der amerikanischen Seele

Die Fondation Beyeler in Riehen bei Basel lenkt den Blick auf Edward Hopper als Landschaftsmaler

Edward Hoppers Ölgemälde »Cape Cod Morning« (1950).  FOTO: DPA
Edward Hoppers Ölgemälde »Cape Cod Morning« (1950). FOTO: DPA
Edward Hoppers Ölgemälde »Cape Cod Morning« (1950). FOTO: DPA

RIEHEN. Ausstellungen mit Werken von Edward Hopper (1882–1967) in Europa sind dünn gesät. An mangelndem Interesse liegt das nicht, sondern vielmehr daran, dass sich in kaum einer europäischen Sammlung Werke des Amerikaners befinden.

Die Hopper-Schau der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel, die derzeit bedingt durch die Coronakrise aussetzt, verdankt sich dem Umstand, dass das Museum seit einigen Jahren über eine Dauerleihgabe der amerikanischen Rockefeller-Sammlung verfügt. In Riehen bildet das Gemälde »Cape Ann Granite« von 1928 den Nukleus, um den gut 60 Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen neben einer Radierung kreisen. Die Ausstellung soll – falls sie überhaupt noch einmal öffnen kann – am 17. Mai enden.

Berühmt ist Hopper in Europa vor allem für Szenen städtischen Lebens, auf denen der Mehltau existenzieller Tristesse liegt: für so ikonische Gemälde wie »Morning Sun« – oder »Nighthawks«, die Mona Lisa des Amerikaners, so Kurator Ulf Küster über die Bar-Szene mit Nachtschwärmern.

Just sie passte nun gar nicht zum Konzept. Denn Küster richtet den Fokus auf jenen Teil des Œuvres, den in den Staaten, wo Hopper über die künstlerische Instanz hinaus eine Gestalt nationaler Identität ist, neben den besagten ikonischen Werken ebenfalls jedes Kind kennt – anders als in Europa. Es sind, in einem weit gefassten Sinne, Hoppers Landschaftsbilder und –aquarelle, die mehr als die Hälfte des gesamten malerischen und grafischen Œuvres ausmachen.

Anders als bei »Das Tal der Seine« (1909), dieses während eines Paris-Aufenthalts im großen Überblick, gleichsam im Weitwinkel geschaffene frühe Gemälde, gibt der 1882 in dem Ostküstenstädtchen Nyack geborene Künstler Landschaften schon wenige Jahre später im engen Ausschnitt wieder: ein Bildmuster, von dem er bis zu seinem Tod im Jahr 1967 nicht mehr abweicht. Hopper sucht nicht die Schönheit der Natur. Seine Sujets sind denkbar unspektakulär, gewöhnlich, mitunter geradezu beliebig.

So fällt in »Cape Ann Granite« der Blick auf eine eng umgrenzte, intime Szenerie mit Grasflächen und Granitfelsen: eine Landschaft ohne Anflug von Lieblichkeit oder Anmut. Nicht hier, dafür in zahlreichen anderen Bildern führen aus den gleichsam herausgeschnittenen landschaftlichen Szenerien Bildelemente wie Straßen, Bahngleise und Brücken der Idee nach hinaus. Sie geben Hoppers Landschaften, bildlich wie buchstäblich, Anbindung an die in ihnen exemplarisch vergegenwärtigten ungeheuren Weiten des Kontinents. Im notorischen Hauch von Melancholie auf Hoppers Landschaften evozieren sie diese Weiten als immer gleiche Tristesse.

Auf der Suche nach sich selbst

Titel wie »Roads and Rocks« oder »Route 6, Eastham« verdeutlichen die konzeptionelle Bedeutung dieser Bildelemente. In »Railroad Sunset« von 1929 durchschneiden die Gleise mit dem Bildraum im Vordergrund zugleich die fulminante Sonnenuntergangsstimmung. Während in dem Aquarell »Bucht mit Felsen« die Küstenfelsen selbst wie ein Bahndamm wirken. Hopper malt Bahnübergänge und fahrende Züge; der Blick in Zugabteile fehlt nicht. Als malender und aquarellierender Landvermesser ist er mit seiner ebenfalls künstlerisch tätigen Frau Josephine selbst häufig mit der Eisenbahn unterwegs, von 1927 an auch im eigenen Auto. Einige der Aquarelle sind auf dem Rücksitz des Fahrzeugs entstanden.

Er sei auf der Suche nach sich selbst, antwortete Hopper einmal auf die Frage nach seinen künstlerischen Intentionen. Seine Landschaften sind somit in gewisser Hinsicht als verschlüsselte Abbilder des eigenen, oft melancholisch verschatteten Inneren lesbar. Entsprechend fällt in »Cape Cod Morning« der Blick der wie versteinert aus dem Fenster sehenden Frau auf eine domestizierte und zurechtgestutzte, jeder Urwüchsigkeit beraubte Kümmernatur: ein Außenbild der Ödnis des Inneren.

Bildfindungen wie diese lassen sich als bewusst gestaltete Allegorien des American Dream lesen. Einsamkeit und existenzielle Leere offenbaren sich in ihnen als Kehrseite eines mit den Schmiermitteln von Profitgier und Konsumismus in Gang gehaltenen gesellschaftlichen Systems. Die Große Depression findet in Hoppers Bildwelt in leer gefegten Straßen, schief stehenden Telefonmasten und wie verwaist und in die Landschaft gewürfelt anmutenden Höfen Eingang. (GEA)