KONSTANZ. Sechstausend Menschen sind es fast beim »Marsch auf Karlsruhe«, den der Mannheimer Jurist und Parlamentarier Friedrich Hecker mit Gesinnungsgenossen am 12. April 1848 in Konstanz begonnen hat. Für Freiheit, deutsche Einheit, eine Republik ohne Fürsten. Drei Kolonnen sind unterwegs, verpassen einander: »Auf der Scheideck bei Kandern im Südschwarzwald quälen sich 800 Freischärler Mitte April durch kniehohen Schnee, treffen auf zweitausend hessische und badische Soldaten mit General Friedrich von Gagern und unterliegen. Gagern wird von einer verirrten Kugel getötet. Hecker und viele andere fliehen ins nahe Ausland. In einem letzten Gefecht um Freiburg scheitert die badische Schilderhebung«, so der Konstanzer Historiker Dr. Tobias Engelsing über die entscheidenden Ereignisse.
Die Sonderausstellung seines Rosgartenmuseums mit dem Titel »Jetzt machen wir Republik!« zeigt im Kulturzentrum Konstanz beim Münster bis Januar die Köpfe dieser Demokratiebewegung mitten in Europa. Auch mutige Frauen wie Emma Herwegh, Dolch und Pistolen im Ledergürtel. Schildert in Bildern, Objekten und Berichten Zusammenhänge und die gespaltene Gesellschaft. Zeigt Hecker lebensecht als Rekonstruktion des Schweizers Marcel Nyffenegger bei Revolutions-Relikten wie seinem Säbel und seinen Duellpistolen, zeigt Sensenwaffen des Heckerzugs, die der Konstanzer Museumsgründer Ludwig Leiner 1870 zurückgeholt hat, Federhut und Blauhemd der Aufständischen, Porträts, Karikaturen, frühe Fotografien, Briefe, Zitate, auch aus der Schweiz, wohin viele Revolutionsbeteiligte geflüchtet sind. Auch Hecker. Im nordamerikanischen Illinois startet er 1849 als Farmer und Publizist, zu Beginn des amerikanischen Bürgerkriegs 1861 stellt er ein deutsches Regiment auf, 1881 stirbt er. In den USA leben viele seiner Nachkommen.
Heckers Appell
Unter die Haut geht in dieser Schau, dass Freiheit Kampf kostet. Immer. Dass die freiheitlich verfasste parlamentarische Demokratie immer Verteidiger braucht: »Wer frei leben will, muss sich für die Freiheit auch einsetzen« geben die Initiatoren der Ausstellung den Besuchern als Appell mit und zitieren Hecker: »Es ist immer besser, sich durch die Welt zu kämpfen und gelegentlich gehauen zu werden, denn als sanft lebendes Fleisch sich lächelnd durchzusanftmeiern.«
Er und Gleichgesinnte wollten im Handstreich vom fast militärlosen Bodensee aus ohne kriegerische Gewalt die deutsche Einheit verwirklichen in einer Republik ohne Fürsten. Das Unternehmen endet blutig, nach dem Scheitern wird in Baden der Belagerungszustand ausgerufen. Der Großherzog holt Verbündete, rund 300.000 Soldaten. Die badische Justiz eröffnet 3.500 Hochverratsprozesse gegen Teilnehmer des Heckerzuges und lokale Akteure der Demokratiebewegung.
Verfassung für Deutschland
18. Mai 1848, Paulskirche Frankfurt: Das erste gesamtdeutsche Parlament soll die deutsche Einheit herbeiführen. Die Verfassung für ganz Deutschland gelingt. Die von der Nationalversammlung am 3. April 1849 angebotene deutsche Kaiserkrone lehnt Friedrich Wilhelm IV. von Preußen ab als »Krone aus der Gosse«. Gegen Aufstände in Sachsen und Süddeutschland schickt er die preußische Armee. Das Parlament bricht im Kleinkampf widerstreitender Interessen auseinander. Die Revolution wird 1849 auf dem Schlachtfeld besiegt. Gescheitert ist sie an inneren Widersprüchen, sagt der Historiker Engelsing. Die Sieger rechnen ab mit Erschießung, Zuchthaus, Enteignung.
Friedrich Engels über die gescheiterte Revolution 1849: »Das höchste Ideal des badischen Kleinbürgers und Bauern blieb immer die kleine bürgerlich-bäuerliche Republik, wie sie in der Schweiz seit 1830 besteht.«
Die Urenkel
Generationen nach jenen, die dabei waren, gelitten haben, gestorben sind im Freiheitskampf, vergessen nicht. Kritische Zeitgenossen wie der Konstanzer Gastronom Anselm Martin Eugen Octavius Venedey oder der Biobauer Helmut Müller im benachbarten Bodanrück-Dorf Kaltbrunn haben sich als Urenkel von Heckers Revolutionären dort engagiert, wo Demokratie beginnt - als gewählte Kommunalpolitiker, die für bürgerliche Rechte und Freiheit einstehen. Venedey: Jeder sei berufen, »den Staat selbst mitzuverwalten«. (GEA)

