WALDKIRCH. War das nun eine hochmoderne Kunstperformance oder Rückgriff auf ein uraltes Ritual? Oder beides zugleich? An Ostern 1963 jedenfalls setzte sich HAP Grieshaber auf ein Islandpony (was dem Eselfohlen, auf dem Jesus in Jerusalem einzog, zumindest nahekam) und ritt aus Eningen in seinen Geburtsort Rot an der Rot mit seiner mächtigen Klosteranlage. Woraus beim Holzschneider Grieshaber umgehend ein Grafik-Zyklus wurde. Die Holzschnitte zeigt derzeit das Elztalmuseum in Waldkirch im Schwarzwald. Sie spiegeln nicht zuletzt die Situation von Kirche und Glauben wider.
Der Osterritt an sich ist eine rituelle Veranstaltung hoch zu Pferde, zur Feier der Auferstehung Christi. Dabei immer auch ein Spektakel mit Volksfestcharakter. Die Dauer von wenigen Stunden überschreitet das in der Regel nicht. Für einen mehrtägigen Osterritt ohne jede Begleitung musste man im Jahre des Herrn 1963 wohl HAP Grieshaber heißen.
Aufbruch am Ostersonntagmorgen
Früh am Ostersonntagmorgen war der Künstler aufgebrochen auf dem Rücken seines Islandponys Sveina. Eine Woche später, am Weißen Sonntag, war er wieder in seinem Haus auf der Achalm in Eningen bei Reutlingen zurück. Der Ritt wurde ihm zur Reise in die Vergangenheit und Kindheit. Gleichzeitig erneuerten sich in dem privaten Ritual seine heimatlichen Gefühle für die geliebte Schwäbische Alb.
Als künstlerischer Ertrag fiel noch im selben Jahr eine druckgrafische Mappe mit 39 teils farbigen Holzschnitten ab. Dem Bilderreigen gab der Künstler, der nach dem Krieg mit großformatigen Blättern den Holzschnitt erneuert hatte, einen tagebuchartigen Kommentar in der dritten Person bei. Bild und Bericht sind in der Mappe miteinander verbunden und wahren beide doch auch ein Stück weit Eigenständigkeit. Denn so wie die Holzschnitte nicht bloße Illustration der Erzählung sind, bringt Letztere über das visuell vergegenwärtigte Geschehen hinaus ein Moment ins Spiel, ohne das die Mappe ein anderes Kunstwerk wäre. In der Wiedergabe inneren Erlebens setzt sie einen Farbton von Unmittelbarkeit.
AUSSTELLUNGSINFO
Die Ausstellung zu HAP Grieshabers Osterritt ist bis 7. Mai im Elztalmuseum, Kirchplatz 14, Waldkirch zu sehen. Geöffnet ist Dienstag bis Samstag 13 bis 17 Uhr, Sonntag 11 bis 17 Uhr, am Ostermontag von 13 bis 17 Uhr. (GEA) www.elztalmuseum.de
Lässt der Bericht etwa den Reiter Bauern nach dem Weg fragen, bekommt der Fragende stets »eine gute, genaue, schwäbische Auskunft. Sie stimmte nie.« Humor auch ist es, wenn ein Holzschnitt Sveina im Kloster in Rot – Grieshabers Geburtsort als Zielort der Reise – die ersten Tulpen des Frühlings fressen lässt.
In einer Art Vorwort zu der Mappe zeichnet der Künstler ein kühnes Bild der Schwäbischen Alb. Ihre Berge erscheinen ihm wie »angespült von den Gezeiten lang vergangener Jahrtausende«, »ewig fixiert durch einen beschwörenden Befehl«.
Zwischen Genesis und Gegenwart
So führt der Ritt in ein bildliches Spannungsfeld zwischen Genesis und Gegenwart. Zwischen den ersten Schöpfungstagen und einer profanen Jetztzeit, in welcher Pferde durch Pferdestärken ersetzt wurden, Autos die Straßen beherrschen. Gern verlässt der Reiter den Asphalt und nimmt den Weg über die Felder. Aus heutiger Perspektive geht seine Reise auf dem Pferderücken als ökologisch durch.
In Holzschnitten wie »Ritt« und »Wacholderalb« scheint Grieshabers Liebe zur Albnatur mit ihren »mageren«, wenig ertragreichen Feldern auf. Im Kontrast dazu entfaltet die Landschaft in der typisch abstrahierenden Bildsprache Grieshabers geradezu exotisches Flair.
Wohltuend wirkt auf den Reisenden die gelebte Christlichkeit und praktizierte Nächstenliebe der Nonnen des Franziskanerinnenklosters Sießen, einer mehrtägigen Station. In der Klosterkirche in Rot an der Rot bei Biberach kehrt er nach einem halben Jahrhundert an den Ort seiner Kindheit zurück. Vor den Seitenaltären kniend, »um alles in Augenhöhe eines Vierjährigen zu betrachten«, findet Grieshaber im Kind sich selbst wieder.
»Gute Unterhaltungen« über Johannes XXIII. führt Grieshaber in Kloster Sießen, wo als Bettlektüre auch ein Band des Theologen Karl Rahner für ihn bereitliegt. Sie zeigen uns einen Künstler, der an den kirchlichen und theologischen Diskussionen der Zeit regen Anteil nimmt: einer Kirche im Umbruch wie heute. Die »österliche Atmosphäre« des Franziskanerinnen-klosters wolle er als »unausgesprochenes Geheimnis in seine Kunst mitnehmen«. Und er wolle fühlen, »dass die Erde«, Zitat Rahner, »rund« sei. Soll heißen: offen nach allen Seiten, offen auch für Wandel. (GEA)