REUTLINGEN. Holger Kube Ventura, Kunsthistoriker und Leiter des Kunstmuseum Reutlingen/konkret, spricht mit Blick auf »Bernard Aubertin: Rouge et plus« von einer »wichtigen Ausstellung - wichtig für Reutlingen.« In der Sammlungsausstellung, die bis zum 20. Oktober im städtischen Museum in den Wandel-Hallen zu sehen ist, werden bedeutende Werke des oft mit dem Zusatz »le rouge« genannten französischen Künstlers Bernard Aubertin (1934-2015) neu beleuchtet. Werke, die unter anderem in Reutlingen entstanden sind.
Durch die besondere Verbindung zur Stiftung für konkrete Kunst - namentlich Gabriele Kübler und Manfred Wandel - fand Aubertin in der Achalmstadt ideale Arbeitsbedingungen vor. Seine größten seriellen Werke entstanden ab dem Jahr 1988 in seiner »période de Reutlingen«. In den Wandel-Hallen, in Räumen, die heute für die Kunstvermittlung genutzt werden, hatte er jahrelang sein Atelier und konnte im Haus auch ausstellen. Die Stadt hat 94 Werke von ihm in der Sammlung, von denen einzelne, mehrteilige, schon mal einen ganzen Raum ausfüllen können.
In Fontenay-aux-Roses bei Paris geboren
Das tun sie auch in der aktuellen Ausstellung, die Stef Stagel und Steffen Schlichter kuratiert haben. Eine Künstlerin und ein Künstler, denen, wie sie sagen, Aubertins Werk durch eine jahrzehntelange Begegnung sehr nahe ist. Sie wollen nicht zuletzt deutlich machen, wie wichtig die »période de Reutlingen« im Schaffen des 1934 in Fontenay-aux-Roses bei Paris geborenen Künstlers ist.
Aubertin, der 1957 Yves Klein traf und ein Jahr später erste monochrome rote Tafelbilder schuf, bei denen er die pastose Bildoberfläche mithilfe von Spachteln, Löffel- und Messerrücken oder Gabelzinken strukturierte, konzentrierte sich auch später auf die Farbe Rot als Ausdruck von Feuer zur Erzeugung von Farb- und Lichträumen. 1961 wurde er Mitglied der Düsseldorfer Gruppe Zero. Ein Foto in der Ausstellung, aufgenommen im Jahr 1989, zeigt ihn neben Heinz Mack, Otto Piene und Günther Uecker. Aubertin war auch Teil der großen Zero-Überblicksausstellung 2014 im Guggenheim-Museum in New York. 1977 nahm er an der Documenta 6 in Kassel teil.
Aubertins Arbeiten werden in der Reutlinger Schau nicht in chronologischer Reihenfolge präsentiert. Lediglich in einem nur an der Fensterseite zugänglichen Kabinett ist das anders. Es ist den frühen Werkphasen ab 1958 gewidmet. Stagel und Schlichter nennen es »die Schatzkammer«. Das monochrome Rot dominiert hier. Auch rote Nagelbilder sind hier versammelt. Solche, in denen Aubertin lange Stahlstifte von der Rückseite her durch eine Holzplatte schlug und die durchgedrungenen Nagelspitzen und das zersplitterte Holz auf der Vorderseite mit roter Farbe bedeckte. Solche, die mit geometrischen Nagelstrukturen aufwarten. Solche auch mit dünnem fluoreszierendem Farbauftrag.
Aubertins erstes in Reutlingen geschaffenes Monumentalwerk, »Le deuxième mur d'Allemagne«, die zweite Mauer Deutschlands, konzipierte er 1988 als 20-teilige Arbeit. Nach dem Fall der deutsch-deutschen Mauer und nach dem Umzug der Stiftung für konkrete Kunst in die Wandel-Hallen erweiterte er die Arbeit auf 54 Teile. Die Ausstellung zeigt die Ursprungsfassung, bei der auf einer Wandseite zehn signalrot lackierte und zehn schwarz verrußte Tafeln von einem weißen Freiraum getrennt sind. Der Freiraum verstärke den »Kontrast zwischen Ausstrahlung (rot) und Absorbierung (schwarz) von Energie sowie die Illusion von Bewegung, die aus den Punktierungen der Oberflächen entsteht«, heißt es in einem Erklärtext.

In Aubertins »Signes de feu« (Feuerzeichen) sind Mal- und Brennprozesse aufeinandergetroffen. »Verkohlte Holztafeln wurden mit roten Pinselstrichen gestisch übermalt, die an loderndes Feuer erinnern«, erfährt man. Auf einer wandfüllend gedruckten Fotografie ist Aubertin vor einem von ihm in Brand gesteckten Auto zu sehen. Das Wrack, das diese Feueraktion im Frühjahr 1990 bei Verona hinterließ, überstrich der Künstler später noch partiell mit roter Farbe.
Objekte vor diesem Wandbild erzählen zudem von öffentlichen Brandaktionen, wie sie Aubertin in Galerie- und Museumsräumen durchführte. In zuvor eingeschlagene Löcher in Aluminiumtafeln steckte er dafür beispielsweise tausende Streichhölzer, die er dann vor Publikum entzündete.
Ausstellungsinfo
Die Ausstellung »Bernard Aubertin: Rouge et plus« ist bis zum 20. Oktober im Kunstmuseum Reutlingen/konkret in den Wandel-Hallen, Eberhardstraße 14, zu sehen. Geöffnet ist Mittwoch, Samstag und Sonntag von 11 bis 18 Uhr, Donnerstag und Freitag von 14 bis 20 Uhr. Der 164-seitige Ausstellungskatalog (Museumspreis: 10 Euro) ist im Kerber-Verlag, Bielefeld und Berlin, erschienen. Weitere Infos gibt es unter www.kunstmuseum-reutlingen.de. (GEA)
Beeindruckend ist in der Ausstellung nicht zuletzt ein Farbraum, den das Kuratoren-Duo aus Aubertins »Carré, Or« gebildet hat, einem hundertteiligen monumentalen Serienwerk, in dem der Künstler einen Goldton multiplizierte. Im Jahr 2005 unter dem Titel »Die Reise nach Rom« gezeigt, kann man das durchs hereinfallende Sonnenlicht immer wieder variierte Gold hier in dreidimensionaler Präsentation erleben. In einer anderen Rauminstallation entfalten die etwas früher entstandenen Bilder in Weiß der Serie »Blanc libre« eine kontemplative Wirkung. So bewahrheitet sich der Ausstellungstitel »Rouge et plus« - Rot und mehr.
Und schließlich kann man Einblick in Aubertins Tagebücher nehmen, in denen er notierte, an welchem Werk er gerade arbeitete, wo in Reutlinger er Brot, Fleisch, Waschmittel oder Seife kaufte. Auch Sätze wie diese am 2. Juli 2000: »Frankreich ist Fußballeuropameister. Es hat Italien 2 zu 1 geschlagen.« Auf hölzernen Arbeitsplatten sieht man Aubertins Malunterlagen, auf denen er Gedanken und Werkmaße oder die Zahl von Farbschichten festhielt. Auch jede Menge Vokabeln, die dokumentieren, wie er sich die Fremdsprache Deutsch aneignete. (GEA)