BURLADINGEN-MELCHINGEN. Das Künstlerduo marks & schleker feiert am Donnerstag, 30. Juni, mit einer neuen Produktion im Melchinger Theater Lindenhof seine Gast-Premiere. »kinderkram« heißt die Paarperformance, in der sich Silvie Marks und Johannes Schleker, seit 18 Jahren ein Paar im Privaten und auf der Theaterbühne, mit der Frage auseinandersetzen: Sollen wir Kinder bekommen oder nicht? Dass diese Frage durchaus nicht nur private, sondern auch politische Aspekte hat, wurde in einem Gespräch deutlich, das Simone Haug vom Theater Lindenhof vorab mit ihnen geführt hat.
Wie kamt Ihr auf die Idee, ein Stück über die Kinderfrage zu machen?
Silvie Marks: Erst einmal, da wir uns selbst dieser Frage stellen müssen, da wir uns den Vierzig annähern. Und wichtige Fragen verhandeln wir am liebsten auf der Bühne. Außerdem ist es unserer Ansicht nach eine Frage, die oft als privat angesehen wird, die aber immer im Zusammenhang mit den gesellschaftspolitischen Umständen gesehen werden muss.
Johannes Schleker: Es ist uns selbst oft begegnet, dass diese doch als privat bezeichnete Frage sehr öffentlich thematisiert und verhandelt wird. Also: Habt ihr Kinder? Warum habt ihr keine Kinder? Wollt ihr Kinder? Und da schweben dann immer normative Erwartungen mit. Eigentlich agiert hier die Gesellschaft sehr übergriffig. Dann wird Familie wieder total privatisiert, obwohl es ja eine gesellschaftliche Angelegenheit ist.
Marks: Wir finden, dass in kaum einer Frage das Private so politisch ist, wie in dieser. Es ist allerdings das erste Mal, dass wir zusammen auf die Bühne gehen und ein so persönliches Thema aufarbeiten. Jetzt stellen wir sozusagen uns selbst zur Verhandlung, werden zum Untersuchungsgegenstand.
Kein zusammenhängender Text
Wie viel Privates kommt nun wirklich im Stück vor?
Marks: Es ist im engeren Sinne gar kein Stück, kein zusammenhängender Text, wir haben in erster Linie Unterfragen zu dieser Überfrage gesammelt. Fragen an uns selbst, Fragen, die wir an die Gesellschaft haben, und Fragen, die die Gesellschaft an uns hat. Der Abend besteht größtenteils aus diesen Fragen und dem Versuch, diese zu beantworten. Wir werden persönlich antworten. Und es werden jeden Abend andere Fragen sein, und so wird jeder Abend etwas anders verlaufen.
Schleker: Dazu werden wir vermutlich Zitate von Personen oder Gruppierungen mit auf die Bühne bringen. Wir sind auch Kulturwissenschaftler und haben in der Vorbereitung viel gelesen und Interviews geführt. Wir ordnen unsere Antworten in den gesellschaftspolitischen Diskurs ein. Es ist also beides auf der Bühne, Privatperson, aber auch Analytiker.
Marks: Dazu kommen Texte, die wir selbst generiert haben. Es wird also auch szenische Lesungen geben. Diese Prosatexte bilden eine zweite Ebene.
Wen adressiert Ihr mit Eurem Stück?
Marks:Wir haben im Vorfeld mit Eltern, mit kinderlosen Paaren – freiwillig und unfreiwillig – und mit Singles gesprochen.
Schleker:Alle haben sich von dem Thema angesprochen gefühlt. Während sich die Eltern eher mit den gesellschaftspolitischen Implikationen auseinandergesetzt haben, was das Familienleben betrifft, setzten sich die Kinderlosen mit dem Stigma der Kinderlosigkeit auseinander. Die kinderlosen Paare sind an einem ähnlichen Punkt wie wir, weil sie persönliche Entscheidungsschwierigkeiten haben, aber weil sie vielleicht auch den gesellschaftlichen Druck spüren. Als Metafrage steckt dahinter: Welche gesellschaftlichen Ideen stecken dahinter, inwiefern tangiert das Gendergerechtigkeit und soziale Gerechtigkeit?
AUFFÜHRUNGSINFO
Das Stück »kinderkram. Eine Paar-Performance« feiert am Donnerstag, 30. Juni, um 20 Uhr im Theater Lindenhof Gast-Premiere. Weitere Vorstellungen sind am 1. und 2. Juli. Aufführungen sind zudem am 8., 22. und 23. Juli im Alten Schlachthof in Sigmaringen. (GEA) www.theater-lindenhof.de
Marks: Unsere These ist, dass mit dem Eintritt des Kindes in das Paarleben, die klassischen Geschlechterrollen zurückkommen oder noch einmal anders zum Thema werden. Wir bleiben nicht bei der Kinderfrage, sondern stellen die Frage, welche kulturellen Konstruktionen hinter dem Bild der Familie stecken.
Schleker: Es wird also im Stück nicht darum gehen, ob wir uns für oder gegen ein Kind entscheiden. Das ist der Ausgangspunkt unserer Beschäftigung. Aber es wird darauf keine Antworten geben. Sondern es geht uns darum, was eigentlich hinter diesem ganzen »kinderkam« steckt. Es geht um das Wechselverhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft. Eine Hauptthese von uns ist, da sich so viele Themen in dieser Kinderfrage versammeln, so viele Normen wirksam werden, dass dieser Komplex sehr gesellschaftskonstituierend ist. Unsere These ist, dass ein Kind, eine Familie ein Stabilisator dieser Gesellschaft ist, wie sie existiert. Und so führt das also auch zu der Metafrage, in welcher Welt, in welcher Gesellschaft, wollen wir eigentlich leben?
Konntet Ihr denn inzwischen die Kinderfrage für Euch klären?
Marks: Nein, nicht abschließend. Wir haben eine Tendenz. Im Moment sind wir so beschäftigt mit der Performance selbst, dass die Frage in den letzten zwei Wochen in den Hintergrund geraten ist. (pm)