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Berthold Biesinger: »Ein Stück weit anders sein«

Berthold Biesinger ist der Erzähler im dramatischen Oratorium »König David« von Arthur Honegger

Schauspieler Berthold Biesinger vom Theater Lindenhof mit dem Text zu Arthur Honeggers »König David«. Foto: Cantré
Schauspieler Berthold Biesinger vom Theater Lindenhof mit dem Text zu Arthur Honeggers »König David«. Foto: Cantré
Schauspieler Berthold Biesinger vom Theater Lindenhof mit dem Text zu Arthur Honeggers »König David«. Foto: Cantré

REUTLINGEN. Berthold Biesinger gehört zweifellos zu den stimmgewaltigsten Lindenhof-Schauspielern. Seine Stentorstimme hat im gewichtigen Pausa-Jubiläums-Stück »Aufstieg und Fall einer Firma« im Juli in Mössingen bereits im Vorspiel Akzente gesetzt. Umso berührender wird sein Schwäbisch, wenn es sanft und leise wird. Demnächst kann man ihn als Sprecher in dem Oratorium »König David« von Arthur Honegger (1892–1955) erleben, das der Philharmonia Chor Reutlingen in der Marienkirche am 19. Oktober aufführen wird. Chordirigent Martin Künstner hat ihn gewissermaßen vom Fleck weg engagiert, als er als Oboist mit der Württembergischen Philharmonie an der Pausa-Produktion mitwirkte.

»Die Zusammenarbeit mit den Philharmonikern in Mössingen war klasse«, schwärmt Berthold Biesinger beim Gespräch in Melchingen vor dem Theater in der warmen Herbstsonne. Einige wird er bei »König David« wiedersehen, denn Mitglieder der WPR werden das Orchester bilden. Ihm als Sprecher fällt der Part zu, die dramatische Lebensgeschichte des ersten Königs von Israel und Juda, die voller Kriege und Leidenschaften war, zu erzählen.

Ursprünglich hatte der Verfasser René Morax den Stoff als Theaterstück geschrieben, doch für konzertante Aufführungen fügte Honegger die Handlung als Erzählung in seine Musik ein und schaffte damit 1923 den künstlerischen Durchbruch. Heute ist »Le roi David« des französich-schweizerischen Komponisten das meistgespielte Oratorium des 20. Jahrhunderts.

Berthold Biesinger hat über einen ungewöhnlichen Weg zur Bühne gefunden. In Hirrlingen aufgewachsen, hat er nach der Hauptschule Maschinenmechaniker gelernt. Weil er aus einer Schuhmacherfamilie mit Ladengeschäft kam, hat er als zweiten Beruf noch Orthopädieschuhmacher gelernt. Davor jedoch absolvierte er in Mariaberg seinen Zivildienst und passierte auf dem Weg dahin immer Melchingen. Die Lindenhof-Theaterkneipe habe in der Zeit gerade aufgemacht, erzählt er, und da sei er gerne eingekehrt, zumal dort seine Hirrlinger Fußballkumpels »Berni und Stefan« – Bernhard Hurm und Stefan Hallmayer – zur freien Theatertruppe gehörten. Irgendwann fiel ein Darsteller aus und »Berti« wurde gefragt, ob er einspringen würde. »Das war ein Bauer in der ersten Hexe«, erinnert er sich an die Rolle in jenem Stück »Tag oder Nacht oder Jetzt« über die Hexenverbrennung, das in den 80er-Jahren fünf Jahre lang gespielt wurde.

So sei er hängen geblieben am Theater, »anfangs noch voll als Schuhmacher g’schafft, dann halb und halb – mit verständnisvollem Chef – schließlich ganz.« Ihn habe das besondere Leben der Theaterleute einfach angezogen: »dieses ein Stück weit anders sein«. Berthold Biesinger: »Sich mit Themen zu beschäftigen, die man als junger Mensch so nicht mitkriegt, das hat mich gereizt.« 1996 hat er Ute geheiratet, drei Kinder haben sie, zuerst ein paar Jahre in Tübingen gewohnt, dann in Melchingen, dort vier Mal umgezogen.

Ein-Mann-»Revuele«

Jahrzehnte schon ist Berthold Biesinger eine feste Größe im immer etablierter gewordenen Lindenhoftheater, in dem die Schauspieler heute nicht mehr wie einst Kulissen zimmern oder Kostüme nähen müssen. In zahlreichen Workshops hat er seine Bühnenkunst verfeinert und auch viel von den ausgezeichneten Regisseuren gelernt, die von Anfang an die künstlerische Qualität des Melchinger Theaters sicherten. Gut ein Dutzend Stücke stehen derzeit mit Biesinger-Beteiligung auf dem Spielplan, darunter solche, in denen er sein komisches Talent ausspielen kann oder auch Musik macht. Zurzeit probt er unter der Regie von Heiner Kondschak eine Bühnenfassung des Til-Schweiger-Films »Honig im Kopf«, in der er den an Alzheimer erkrankten Opa spielt. Premiere ist am 2. November. Als Rezitator aufzutreten ist ihm keineswegs fremd: Zusammen mit Susanne Hinkelbein am Klavier hat er Hauff-Märchen vorgetragen oder – ganz anders geartet – eine Grafeneck-Lesung gehalten zum Gedenken an die Opfer der nationalsozialistischen Euthanasie-Verbrechen.

Der »expressive Ausdruck« der »König-David«-Texte komme ihm sehr entgegen, sagt Biesinger. Dass es in Honeggers »Symphonischem Psalm« auch um einen Machtmenschen geht, der meint, sich alles erlauben zu dürfen, stelle den Bezug zu heute zwangsläufig her. Vertraut sind ihm biblische Geschichten als jahrelanger Ministrant – »sogar Oberministrant« – bestens. In einem »Ein-Mann-Revuele« bringt er im Theater auch Sebastian Sailers »Schwäbische Schöpfung« in satter Mundart auf die Bühne. (GEA)

 

AUFFÜHRUNGSINFO

»König David« von Arthur Honegger, 19. Oktober, 19 Uhr, Marienkirche Reutlingen. Solisten, Philharmonia Chor Reutlingen, Mitglieder der WPR, Leitung: Martin Künstner. (GEA)

 

www.philharmonia-chor-reutlingen.de