REUTLINGEN. Ein Strauß gelbroter Tulpen zaubert Farbkleckse ins Büro von Ina Dinter. Von ihren Mitarbeitern zum Abschied. Viereinhalb Jahre hat sie das Kunstmuseum Reutlingen geleitet, nun zieht sie weiter ins Rheinland, wird Leiterin des Museums Villa Zanders in Bergisch Gladbach. Private Gründe gaben den Ausschlag. Ihr Partner lebt im Sauerland, Gelegenheit, endlich zusammenzuziehen. Zudem lebt Dinters Mutter in Köln, wenige Kilometer von Bergisch Gladbach.
In Köln ist Dinter aufgewachsen, nach Reutlingen kam sie aus Berlin, wo sie am Museum Hamburger Bahnhof gearbeitet hatte. Die Achalmstadt war kein unbekanntes Terrain für sie: Von 2004 bis 2011 hatte sie in Tübingen Kunstgeschichte und Philosophie studiert. »Zum Einkaufen fuhr man nach Reutlingen.« Zudem gab sie hier Nachhilfe in Deutsch für ein Grundschulkind - im selben Viertel, in dem sie später wohnen sollte, im Schafstall.
Antritt in bewegter Zeit
Das Kunstmuseum übernahm sie von Herbert Eichhorn in bewegten Zeiten. Kurz zuvor war die Sammlung der Stiftung für konkrete Kunst an das Museum gekommen - samt einer Etage in den Wandel-Hallen. 2022 sollte mit den privaten Sammlungen der Stiftungsleiter Gabriele Kübler und Manfred Wandel noch weit mehr Konkrete Kunst ins Museum kommen. Das Kunstmuseum hatte plötzlich drei Schauplätze und neben dem modernen Holzschnitt einen weiteren Schwerpunkt.
Dazu wollten die mäßigen Besucherzahlen nicht passen. Öffnung war angesagt, mehr Präsenz in der Stadt. Dinter realisiert mit ihrem Team die noch von Eichhorn angeschobene eigene Homepage, lässt das Corporate Design überarbeiten und den Reutlinger Künstler Eckart Hahn den Aufzugsbereich im Spendhaus neu gestalten. Auch auf den Sozialen Medien wird man präsenter. Die Ausstellungsreihe »Aspekte der Sammlung« oben im Spendhaus muss weichen, dort realisiert Dinter mit ihrem Team eine Besucher-Lounge namens »Baumhaus«. Ein Lieblingsprojekt von ihr. Hier sollen Besucher sich entspannen, sich austauschen, selbst kreativ tätig werden. Das werde gut angenommen, so Dinter.
Zäsur durch die Pandemie
Kaum ist sie da, platzt die Pandemie herein. Ausstellungen sind dicht, werden verlängert oder geschoben. Dazu kommen Personalwechsel, es ist viel Fluktuation in Dinters Anfangszeit. Sie steuert das Museum mit der ihr eigenen Ruhe durch diese Turbulenzen. Inzwischen hat sich die Personalsituation stabilisiert.
Kunstvermittlung, schon vorher ein großes Thema am Museum, wird unter ihr weiter ausgebaut, mit Kerstin Rilling als verantwortlicher Kraft. Eine mobile Druckstation wird angeschafft, neue Formate entstehen, wie etwa »Lieblingswerk«: Dabei tauschen sich je ein Museumsmitarbeiter aus dem wissenschaftlichen und nichtwissenschaftlichen Bereich vor Publikum über ein Werk aus. Auch Dinter selbst ist immer wieder dabei. Zudem gibt es viele Kooperationen: mit der Musica-Nova-Reihe, mit der Tonne, dem Zimmertheater, dem Tübinger Collegium Musicum, dem inklusiven Festival »Kultur vom Rande«.
Breite der Ausstellungsthemen
Bei den Ausstellungen achtet Dinter auf eine große Breite. Einerseits bekommen Gegenwartskünstler eine Plattform - aktuell etwa Wolfgang Folmer. Andererseits öffnen Ausstellungen wie »Ins Licht« den Blick in die Schätze der Sammlung. An Highlights fehlt es trotz Corona nicht. Die Schau des Ivorers Jems Koko Bi, der sich im Spendhaus in Holzschnitten und Holzskulpturen mit ökologisch orientierten Arbeiten HAP Grieshabers auseinandersetzte, hat sie sehr beeindruckt. Besonders gefreut hat sie die Schau mit Grafiken James Ensors - schließlich hat sie über den belgischen Pionier der Moderne promoviert. Für die Schau »Home@Museum«, kuratiert von Holger Kube Ventura, verwandelt sich eine Etage der Wandel-Hallen in eine Art Wohnzimmer. Auch sowas trägt sie mit.
So steht das Museum am Ende ihrer viereinhalb Jahre anders da. Baustellen sind geblieben. Allen voran die Depot-Frage. Noch drängender geworden, weil Werke, die bislang im Untergeschoss des Rathauses lagern, der Rathaussanierung weichen müssen. Interimsmagazine müssen angemietet werden. »Ich bin immer noch der Ansicht, es wäre die Stadt günstiger gekommen, hätte man ein Depot gebaut«, sagt Dinter. Es frustriere sie, dass das Thema bei Stadt und Rat immer wieder in der Versenkung verschwinde, während die Lagerbedingungen für die Kunstwerke inakzeptabel seien.
Einiges bleibt zu tun
Gerne hätte sie den Bestand an Werken der Sammlung Ziegler aufarbeitet gesehen - rund 400 Gemälde und über tausend Grafiken, die in den 1950er-Jahren an die Stadt gingen. Geklappt hat das nicht, zu viel anderes war zu tun. »Mein Nachfolger braucht ja auch noch was zu tun«, lacht sie.
Jetzt richtet sich ihr Blick auf das Museum Villa Zanders in Bergisch Gladbach. Eine Stadt so groß wie Reutlingen mit einem Museum, das dort stärker im Mittelpunkt steht: Es residiert direkt am Marktplatz. Eine Gemäldesammlung gehört dazu, außerdem ein Schwerpunkt zu Kunst auf und aus Papier - die Villa war früher Wohnsitz einer Papierfabrikantenfamilie. Hier spielt sich anders als in Reutlingen alles in einem Haus ab: Dinter hat ihr Büro in der Villa, die Ausstellungen sind hier, sogar das Depot ist im selben Haus. »Wenn ich eine Ausstellung mit Werken aus der Sammlung vorbereite, brauche ich nur die Treppe runterzugehen.« Das habe schon was für sich. (GEA)